Das Geheimnis von Mikosma: Geblendet
das Gefühl, ihr Kopf müsste vor Schamröte gleich platzen. Henry bemerkte ihre Verlegenheit, was er jedoch dankenswerterweise gekonnt überspielte.
»Gut beobachtet! Du bist mir irgendwie sofort ins Auge gestochen, weil du mit deinem Kobold so heftig diskutiert hast. Ich habe euch eine ganze Weile zugesehen. Das war sehr lustig!«
»Mit Erlas habe ich wohl das ganz große Los gezogen«, sagte Leandra und verlangsamte ihren Schritt, weil sie das Gefühl hatte, dass der kleinere Luca bei ihrem Tempo nicht mithalten konnte.
»Er ist sehr vergesslich und man muss ihm alles aus der Nase ziehen. Er spricht in tausend Rätseln und wenn ich es wage, nachzufragen, speist er mich mit Alltagsfloskeln ab.«
Luca, der sich neben Leandra eingereiht hatte, war offensichtlich dankbar über den langsameren Marsch, denn er wischte sich mit seiner Hand über die Stirn, auf der sich ein paar Schweißtropfen angesammelt hatten.
»Was haltet ihr davon, wenn wir nachher im weißen Schloss des Magiers Relaxus vorbeisehen? Ich hätte so große Lust, ins kühle Nass zu springen und etwas zu schwimmen«, fragte er vorsichtig.
Leandra und Henry freuten sich über Lucas Vorschlag.
Henry wendete sich seinen beiden Begleitern zu und fragte vorsichtig: »Da ihr ebenfalls das erste Mal auf Mikosma seid, habt ihr wohl auch Sorgen und Probleme?«
Luca antwortete, bevor Leandra zu Wort kam.
»Ich bin hier, weil sich meine Eltern permanent zoffen. Die wenigen Male, in denen sie nicht aufeinander losgehen, kann ich an einer Hand abzählen. Seit ich ein kleines Kind war, habe ich mir eine perfekte , friedliche Familie gewünscht. Mit meiner großen Schwester Francesca, die übrigens auch hier sein muss, habe ich mich viele Nächte in den Schlaf geweint in der Hoffnung, am nächsten Tag würde alles besser werden. Aber es hat sich leider nichts geändert«.
Traurig blickte er zu Boden. Leandra gab ihm einen Schubs mit der Schulter und lächelte ihn aufmunternd an.
»Ich fasse es nicht! Du hast eine Schwester? Wie hältst du das denn aus? Ich bin leider ein Einzelkind und kann meine Sorgen mit niemandem teilen.«
Leandra gab sich einen Ruck und weihte die beiden in ihr Geheimnis ein.
»Ihr müsst wissen, dass ich einen Tick habe, der mich in meiner Klasse zur Außenseiterin hat werden lassen.«
Henry und Luca sahen sie neugierig an.
Leandra holte tief Luft und sagte: »Ich plappere Gedanken manchmal unkontrolliert heraus und störe dabei den Unterricht. Deswegen wurde ich schon oft getadelt und gerügt, da mir meine Klassenlehrerin nicht glauben will, dass ich das nicht absichtlich mache. Die anderen in meiner Klasse merk ten bald, dass ich mich gegen Ungerechtigkeiten , die mir deswegen widerfahren, nicht wehren kann, und so bin ich zum Buhmann geworden.«
Sie blickte die beiden Jungen scheu an. Diese reagierten so ganz anders, als Leandra das erwartet hätte.
»Das muss ja nichts Schlechtes sein«, scherzte Henry. »So wissen wir immer , was in deinem Hirnkästchen vor sich geht.«
Luca legte nach: »Bitte setze dich in der Schule neben mich. Ich wäre manchmal froh, wenn mir mein Banknachbar die korrekte Lösung für eine Matheaufgabe verraten würde.«
Leandra wurde rot. Diese Antworten zauberten ein zaghaftes Lächeln auf ihre Lippen. Jetzt wollte sie den beiden auch die ganze Wahrheit erzählen.
Leandra räusperte sich kurz und sprach mit leiser Stimme: »Zudem habe ich das gleiche Problem wie du, Luca. Auch meine Eltern sind so oft am Streiten, dass ich gar nicht mehr weiß, wann Frieden zu Hause war. Das Schlimme daran ist, dass ich in meiner Mutter oft die Schuldige sehe. Sie kann es einfach nicht lassen, auf Papa herumzuhacken.«
Dieses Mal war es Luca, der Leandra aufmunternd auf den Rücken klopfte.
Sofort erklärte er seine Handlung keck mit den Worten: »Bilde dir nur nichts darauf ein, Leandra. Du weißt, dass ich Mädchen überhaupt nicht leiden kann!«
Leandra grinste ihn dankbar an.
Nach einigen stummen Schritten nahm Henry sich ein Herz und informierte die beiden über seine Sorgen. Wie Leandra es sich bereits gedacht hatte, war seine Hautfarbe sein größtes Problem.
»Versteht ihr? Ich kann nichts dafür, dass ich schwarz bin. Trotzdem werde ich deswegen benachteiligt und ausge schlossen. Ich werde nie die gleichen Chancen haben wie ihr. Da ich so einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn habe, macht mich dieser Gedanke verrückt! Mann, wie beneide ich Kinder, die weiß sind! Sie können das Leben führen, wovon
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