Das Geheimnis von Sittaford
«Das Merkwürdige ist allerdings, dass nach meiner Meinung der Mörder tatsächlich durch die Fenstertür hereinkam. Wie Sie und Graves berichteten und wie ich auch noch selbst erkennen kann, sind Spuren feuchter Flecke vorhanden, die von dem schmelzenden Schnee herrühren, den der Täter an seinen Schuhen mit ins Haus trug. Auf jene feuchten Flecke stießen wir aber nur in diesem Raum. Constable Graves versichert, dass sie ihm hier sofort aufgefallen seien, während er in der Diele nichts dergleichen bemerkte. Trifft dies zu – und ich habe keinerlei Grund, Graves’ Aussage in Zweifel zu ziehen –, so muss Captain Trevelyan persönlich den Mörder durch diese Fenstertür hereingelassen haben, woraus man mit Fug und Recht schließen darf, dass der Captain ihn kannte. Sergeant, könnten Sie als Einheimischer mir sagen, ob Trevelyan ein Mensch gewesen ist, der sich leicht Feinde machte?»
«Feinde? Ich möchte behaupten, dass er auf der ganzen Welt keinen Feind gehabt hat. Ein bisschen versessen aufs Geld, ein bisschen scharf im Dienst – Trägheit duldete er nicht –, aber weiß Gott, er wurde allgemein geachtet.»
«Keine Feinde», sagte Narracott grübelnd.
«Hier jedenfalls nicht.»
«Freilich, man kann nicht wissen, ob er es sich während seiner Dienstzeit nicht doch mit diesem oder jenem verdarb. Und die Erfahrung hat mich gelehrt, dass ein Mensch, der sich an einem Ort Feinde machte, sie sich auch an einem anderen machen wird. Diese Möglichkeit dürfen wir also nicht gänzlich von der Hand weisen. Logischerweise kommen wir damit zum nächsten Beweggrund – dem alltäglichsten für jedes Verbrechen –, Gewinnsucht. Wenn ich Sie recht verstanden habe, war Captain Trevelyan ein reicher Mann?»
«Ja, aber nicht sehr freigebig… Jammerschade, dass es so schneite», setzte der Sergeant ziemlich unvermittelt hinzu. «Sonst hätten die Fußspuren uns vielleicht einen Anhaltspunkt gegeben.»
«Wohnte sonst noch jemand im Haus?»
«Nein. Während der letzten fünf Jahre hatte Captain Trevelyan nur einen Diener, einen früheren Maat. Oben in Sittaford House kam außerdem noch täglich eine Frau; aber sein Bursche, Evans, kochte für seinen Herrn und betreute ihn. Vor einem Monat hat er geheiratet – sehr zum Ärger des Captain. Ich glaube, das hat mit dazu beigetragen, dass er seinen Landsitz der afrikanischen Dame überließ. Er sträubte sich dagegen, ein weibliches Wesen um sich zu haben. Evans wohnt jetzt mit seiner jungen Frau hier in der Fore Street. Er trat stets frühmorgens seinen Dienst an. Ich habe ihn übrigens herbestellt, damit Sie ihn verhören können, Sir. Vorderhand sagte er, dass er gestern Nachmittag gegen halb drei von hier weggegangen sei, da der Captain ihn nicht länger benötigt habe.»
«Sehr gut. Ich werde ihn mir gleich vornehmen. Was ist er für ein Mensch?»
Sergeant Pollock verstand besser, Berichte über Tatsachen abzufassen, als einen Mitmenschen eingehend zu schildern, und so begnügte er sich mit der Wiederholung: «Er war früher bei der Navy.»
«Trinkt er?»
«Nicht, dass ich wüsste.»
«Und seine Frau? Vielleicht ein Liebchen des Captain, he?»
«Nein, nein, Sir. So etwas lag dem Captain nicht. Er war sogar als Frauenfeind bekannt.»
«Und Evans galt als seinem Herrn treu ergeben?»
«Ja, Sir. Und ich denke, in einem Nest wie Exhampton wäre es bald ruchbar geworden, wenn er es nicht ehrlich gemeint hätte.»
Inspektor Narracott nickte zustimmend.
«Gut. Da es hier nichts mehr zu tun gibt, will ich jetzt mit Evans reden, nachher die anderen Räumlichkeiten des Hauses besichtigen und zum Schluss in die ‹Three Crowns› hinübergehen und mich bei Major Burnaby melden. Seine Bemerkung über die Zeit gibt zu denken. Fünfundzwanzig Minuten nach fünf, was? Er muss etwas wissen, was er Ihnen vorenthalten hat. Oder woher könnte er sonst so genau die Stunde des Verbrechens erraten?»
«Seltsam!» sagte Sergeant Pollock, als er von der Schwelle aus noch einen Blick auf den papierübersäten Boden warf. «Diese Sache mit dem vorgetäuschten Einbruch…»
«Das ist es nicht, was mich am merkwürdigsten berührt», unterbrach Narracott ihn. «Zu ähnlichen Tricks hat schon so mancher Verbrecher seine Zuflucht genommen. Nein – die Fenstertür macht mich stutzig.»
«Die Fenstertür, Sir?»
«Ja, Pollock. Warum benutzte der Mörder diesen Eingang? Angenommen, es ist jemand gewesen, den Trevelyan kannte und dem er ohne weiteres Einlass gewährte, warum, zum
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