Das Geheimnis von Sittaford
meinen zwei Beinen werde ich hingelangen.»
Ein Chor des Widerspruchs wurde laut.
«Unmöglich, Major Burnaby! Sie haben selbst gesagt, dass es noch mehr Schnee geben wird.»
«Nicht vor Ablauf einer Stunde – vielleicht lässt er auch noch länger auf sich warten. Ich komme schon hin, keine Angst!»
«Nein, Major, das dürfen Sie nicht tun. Und wir dürfen das einfach nicht zulassen.»
Mrs Willett war ernstlich besorgt und aufgebracht.
Aber Bitten und Vorstellungen machten auf Major Burnaby nicht mehr Eindruck als auf einen Felsen. Halsstarrig, wie er war, ließ er sich von einem einmal gefassten Entschluss nicht abbringen.
Er hielt es für richtig, nach Exhampton zu gehen und sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass seinem alten Freund nichts zugestoßen war. Und das wiederholte er Mrs Willett und ihren Gästen gegenüber wohl ein halbdutzendmal.
«Ich will nur noch schnell bei mir zu Haus eine Flasche einstecken», sagte er fröhlich, als er mit der Sturmlaterne in der Hand marschbereit an der Haustür stand. «Trevelyan wird mich wohl über Nacht bei sich behalten. Machen Sie sich keine Sorgen, Mrs Willett. Schnee oder nicht Schnee – in ein paar Stunden bin ich in Exhampton. Gute Nacht!»
Er stapfte von dannen, während die anderen zum gemütlichen Feuer zurückkehrten.
Mr Rycroft raunte Mr Duke zu:
«Zweifellos gibt es noch mehr Schnee, und zwar längst, ehe er Exhampton erreicht haben wird. Mein Gott, wenn ihm unterwegs nur nichts zustößt!»
Duke runzelte die Stirn.
«Ja, ich habe auch das unbehagliche Gefühl, dass wir ihn nicht ganz allein hätten gehen lassen sollen.»
«Nein, wie entsetzlich», klagte Mrs Willett. «Wirklich entsetzlich. Violet, nie wieder wird dieses dumme Spiel bei uns gespielt. Der arme Major Burnaby versinkt jetzt möglicherweise in einer Schneewehe oder holt sich eine Lungenentzündung. In seinem Alter ist das doppelt gefährlich. Ein Wahnwitz von ihm, so davonzustürmen, denn natürlich ist Trevelyan heil und gesund.»
«Natürlich! Natürlich!» klang es im Echo zurück.
Doch auch jetzt fühlte man sich irgendwie unbehaglich.
Angenommen, dem Captain wäre doch etwas geschehen… Angenommen…
3
Z wei und eine halbe Stunde später, also kurz vor acht Uhr, taumelte Major Burnaby, die Sturmlaterne in der Hand und den Kopf auf die Brust gesenkt, um sein Gesicht einigermaßen vor dem blindwütigen Schneetreiben zu schützen, über den Pfad, der bei der Haustür von Captain Trevelyans Wohnung endete.
Vor gut einer Stunde hatte der Schneesturm wieder begonnen. Major Burnaby keuchte vor Erschöpfung. Halb gelähmt vor Kälte stampfte er mit den Füßen, blies, schnaufte, pustete und drückte endlich einen erstarrten Finger auf den Klingelknopf.
Schrill gellte die Glocke.
Burnaby wartete. Als sich nach mehreren Sekunden drinnen immer noch nichts regte, drückte er zum zweitenmal. Und wieder rührte sich nichts.
Jetzt läutete Burnaby, ohne den Finger von dem weißen Knopf zu lösen, ununterbrochen… ununterbrochen. Niemand kam. Da ergriff der Major den Türklopfer und handhabte ihn so heftig, dass der verursachte Lärm in ein lautes Donnern ausartete.
Aber das kleine Haus blieb stumm wie der Tod.
Der Major ließ den Klopfer sinken. Einen Augenblick verharrte er verblüfft, um dann kehrtzumachen und den Weg, der in die Stadt führte, weiter zu verfolgen.
Nach gut hundert Metern war er bei der kleinen Polizeiwache angelangt, zögerte kurz und stieß schließlich die Tür auf.
Constable Graves, der den alten Herrn gut kannte, sprang vor Erstaunen mit einem Satz in die Höhe.
«Das hätte ich mir nicht träumen lassen, dass Sie in einer solchen Nacht draußen sind, Sir.»
«Hören Sie, Graves», schnitt Burnaby ihm das Wort ab. «Ich habe beim Captain wie ein Wilder geklingelt und geklopft und erhalte keine Antwort.»
«Natürlich, heute ist ja Freitag», erwiderte Graves, dem die Gewohnheiten der beiden genügend bekannt waren. «Aber Sie wollen doch nicht etwa sagen, dass Sie bei diesem Unwetter von Sittaford heruntergekommen sind? Der Captain hat Sie sicherlich nicht erwartet.»
«Ob er mich erwartet hat oder nicht – ich bin gekommen», entgegnete der Major verdrossen. «Und wie ich Ihnen bereits erklärte, ich kann nicht hinein, da all mein Klingeln und Klopfen keinen Erfolg hatte.»
Etwas von seiner Besorgnis schien sich auch dem Polizisten mitzuteilen, denn er brummte: «Das ist eigenartig.»
«Natürlich ist das eigenartig.»
«Kaum
Weitere Kostenlose Bücher