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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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legte den Finger auf die Lippen, löste sich von den andern, schlich vorwärts und teilte die grünen Zweige ein wenig, so daß sie durch die Öffnung schauen konnte. Da sah sie drei junge Weiße am Rande des Pfades sitzen. Sie waren zerlumpt und hatten außer dem Gewehr, das sie umklammert hielten, nichts bei sich. Einer von ihnen hatte seinen einen Stiefel ausgezogen und betrachtete ihn sorgenvoll.
    Sie schlich sich näher. Sollte sie sprechen oder nicht? Die drei waren blasse, müde, verloren aussehende Männer, waren sehr jung, wie sie bemerkte, kaum dem Knabenalter entwachsen. Ja, sie wollte sie ansprechen.
    »Hallo!« rief sie gedämpft. »Hallo!«
    Sie sprangen auf die Füße, mit glotzenden Augen, das Gewehr im Anschlag.
    »Heda«, sagte der mit dem Stiefel streng. »Freund oder Feind?«
    Sie trat aus dem Gebüsch hervor, das sie verborgen hatte. »Da ich Chinesin bin«, antwortete sie, »muß ich wohl Freund sein.«

22
    Die drei jungen Engländer schauten Mayli an. Sie sah in den drei Paar hellen Augen den alten Zweifel des Weißen. Chinesin! Freund oder Feind?
    »Sie brauchen keine Furcht vor mir zu haben«, sagte sie ruhig. »Wenn ich auch keine Engländerin bin, so bin ich doch nur eine Frau.«
    »Sind Sie allein?« forschte der erste junge Engländer. Er hatte sein Gewehr gesenkt, umklammerte es aber noch immer so fest, daß die Knöchel seiner mageren, schmutzigen Hände weiß wurden.
    »Nein, ich bin mit vier andern zusammen«, erwiderte sie. »Wir flüchteten heute vom Kampfplatz.«
    »Von was für einem Kampfplatz?«
    »Kommen Sie nicht von der Straße?« fragte sie zurück.
    Er schüttelte den Kopf. »Ganz im Gegenteil. Seit Tagen wandern wir durch den Urwald, ohne eine Straße erblickt zu haben. Wir wissen nicht, wo wir uns befinden. Wir hatten die Vorstellung, in der Richtung nach Indien zu laufen, aber da wir in dieser gräßlichen grünen Dunkelheit die Sonne weder auf- noch untergehen sehen, haben wir uns vielleicht gründlich geirrt.«
    Sie nahm den kleinen Kompaß aus der Tasche, den Chung ihr geschenkt hatte. »Sie gehen nach Südosten«, erklärte sie.
    »Großer Gott!« stieß er leise hervor.
    Die Engländer vergaßen ihre Furcht und ließen die Gewehre sinken. Einer von ihnen, ein kleiner, vierschrötiger Bursche, der einmal dick gewesen war und nun so abgenommen hatte, daß das Fleisch an ihm schwabbelte, nahm seinen zerfetzten Tropenhelm ab und kratzte sich den schmutzigen, verschwitzten Schädel. Der dritte, der Jüngste, wurde blaß unter den schmierigen Streifen auf seinen unrasierten Wangen. »Soll das heißen, daß wir die ganze Zeit in der falschen Richtung gegangen sind, Hai?« fragte er den ersten.
    »Sieht so aus«, lautete die kurze Antwort.
    Der Engländer, der Hai hieß, knöpfte sich den zerrissenen Rock zu, den er über dem nackten Körper offen getragen hatte. »Sind die Japaner südlich von uns oder wo?« erkundigte er sich bei Mayli.
    »Sie sind heute morgen in diese Gegend gekommen«, versetzte sie. »Dann haben sie sich nordwärts und ostwärts entfernt. Wie weit sie jetzt von hier sind, kann ich nicht sagen.«
    »Wenn sie erst heute morgen hier waren, dann sollten wir uns tummeln«, meinte er. »Aber wohin gehen? Seit Tagen laufen wir vor ihnen davon. Dort waren sie hinter uns …« Er wies mit dem Kinn in nördliche Richtung. »Wir glaubten, daß wir uns von ihnen fort bewegten.«
    »Wir müssen aus dem Dschungel hinaus«, entschied sie. »Wir können nichts sehen, solange wir hier drin stecken. Ich rufe meine Freundinnen.« Sie hob die Stimme: »An-lan … Pansiao … Siu-chen … Hsieh-ying!«
    Auf ihren Ruf kamen die vier Mädchen, die sich bis jetzt im Gebüsch verborgen gehalten hatten, zaghaft hervor; Pansiao klammerte sich an Hsieh-yings Hand. Sie blickten einander an, Engländer und Chinesinnen. Die Männer waren nicht allzu erfreut, wie Mayli merkte. Frauen waren eine Last – zweifellos dachten sie das.
    »Wir können ebenso rasch gehen wie Sie«, sagte Mayli. »Wir sind es gewöhnt, mit Soldaten zu marschieren.«
    »Man denke – so weit mußten wir geraten, um ein Häuflein Weiber zu finden!« bemerkte der Kleine.
    »Halt die Klappe, Rick«, entgegnete der erste Engländer. Ein langes, scheues Schweigen herrschte; dann schulterte er sein Gewehr. »Gehen wir allesamt«, sagte er. »Wir sollten lieber nicht verweilen.« Er stapfte in der Richtung davon, aus der die Männer gekommen waren; seine Kameraden schlossen sich an, dann folgten die Frauen,

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