Das Geloebnis
vielen begraben sollen? Sie brachten diejenigen, die sie kannten, in eine anständige Lage, und sie bedeckten den toten General mit einer zerrissenen Zeltbahn. Überall suchten sie nach den beiden Frauen, und als die Suche sich als vergeblich erwies, als die starke Hitze und die zahlreichen Fliegen ihnen immer mehr zusetzten, gingen sie schließlich in den Urwald, wo es Schatten und Wasser gab. Hier verzehrten sie ihren spärlichen Mundvorrat, den sie sich von dem Geld gekauft, das der chinesische Händler Sheng geschenkt hatte.
Der Urwald aber war wie alle Urwälder, und es bereitete Schwierigkeiten, sich hier einen Weg zu bahnen. Jetzt war es der Inder, welcher die Führung übernahm. Er fand einen gangbaren Pfad, den einzigen, der zu entdecken war, und so schritten sie auf dem gleichen Weg dahin, den Mayli und ihre Frauen an diesem Tag gegangen waren, vier bis fünf Stunden früher. Auf diesem selben Pfad hatte Mayli die Mädchen ganz leicht gefunden, als sie in den Urwald taumelten, und sie fand sie in entsetztem Schweigen aneinandergedrängt. Regen hatte zu fallen begonnen, wie der Regen aus diesem niedrigen Himmel zu fallen pflegte, und ringsum trommelten und prasselten die Tropfen nieder. Nach allen Seiten spähten sie aus, weil sie die Schritte des Gegners wegen des Regens nicht hören würden. So hörten sie auch Mayli nicht, und sie stand vor ihnen, ehe sie sich’s versahen. Sie streckten die Hände nach ihr aus und zogen sie in ihre Mitte, während Tränen mit den Regentropfen über ihre Wangen rannen. Mayli strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht und fragte sich, was nun geschehen sollte. Wohin sollten sie in diesem feindlichen Land gehen, und wie konnten ein paar Frauen entkommen, und wo sollten sie ihre Heimat suchen? Die Bäume ringsum zeigten ein lebhaftes Grün im Regen; Äffchen starrten auf sie nieder, die die Zweige wie Menschenwesen auseinanderbogen, um nach ihnen zu äugen. Mayli schauderte bei diesem Anblick, denn auch die Gegner verbargen sich wie Affen in den Bäumen, und wer wußte, ob nicht Affen und Menschen sich dort miteinander versteckt hielten? So fühlten sie alle die Gegenwart des Feindes, und dieses Entsetzen zuckte wie eine kalte Flamme von der einen zur andern, bis sie, einander an den Händen fassend, blindlings auf die Straße zurannten.
Mayli besann sich als erste; sie stemmte sich entgegen und rief den andern zu: »Halt, halt! Wir sind ja wahnsinnig … wohin laufen wir denn?«
Beim Klang ihrer Stimme hielten alle an und blickten zu ihr hin. Pansiao begann zu weinen, weil sie so heiß und müde und verängstigt war. Als Mayli die Gesichter der andern gewahrte, wurde ihr klar, daß sie für alle denken mußte, und sie versuchte, ihr eigenes Keuchen zu dämpfen, während sie überlegte, was sie tatsächlich tun könnten.
Der Regen hatte wieder aufgehört, und ringsum schimmerte tief und weich das feuchtgrüne Licht. Wären sie imstande gewesen, Schönheit wahrzunehmen, so hätten sie dieses Schöne gesehen; aber ihnen erschien das Licht nur fremdartig und gefährlich; die tropfenden Blätter und Bäume durchnäßten sie und boten keinen Schutz; sie waren hungrig und sogar auch durstig, denn der Regen war durch Moos und Lehm gesickert, und kein Gewässer fand sich in der Nähe.
In diesem Augenblick hörten sie nahebei Menschenfüße durch den Dschungel schreiten, und sie vernahmen Männerstimmen. Sie schraken zusammen bei den Geräuschen, fürchteten sie doch feindliche Männer mehr als alles andere. Plötzlich waren sie nur noch Frauen, sie, die so tapfer und leidensbereit gewesen, die Seite an Seite mit den Männern ihrer Armee marschiert waren und die Unbill der Schlacht mit ihnen geteilt hatten. Als sie jetzt diese Männerstimmen vernahmen, vergaßen sie alles außer der Tatsache, daß sie weiblichen Geschlechts und insofern der Gnade und Barmherzigkeit der Männer ausgeliefert waren. Aneinandergeklammert standen sie reglos und schweigend und blickten in die Richtung, aus der die Stimmen ertönten.
Der Pfad führte nahe an der Stelle vorbei, wo sie standen, und es blieb ihnen keine Zeit zurückzulaufen; zudem wagten sie nicht, sich zu rühren, um nicht gehört zu werden. Die Stimmen näherten sich, und sie lauschten, und was Mayli hörte, das war eine klagende englische Stimme, die englische Worte sprach.
»Ich will euch etwas sagen, meine Freunde, wenn wir diesen Schritt beibehalten, dann habe ich morgen keinen Fetzen meiner Schuhe mehr an den Füßen.«
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