Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
Vom Netzwerk:
sahen ihn fallen; denn jetzt waren die Gegner überall am Himmel und auf Erden, und von allen Seiten griffen sie an. Wer konnte unter solchem Feuer an den andern denken? Chung warf die Arme in die Höhe und stand still. »Ich bin gefangen«, murmelte er, und er wandte das Antlitz zum Himmel empor. Der Feind stach auf ihn nieder, und er fiel.
    Die Gegner drängten sich zwischen die Soldaten des Generals, sie umzingelten die Nachhut, sonderten sie ab und durchlöcherten sie; dann überfielen sie diese kleinen Gruppen und vernichteten sie, so daß sie verschwanden, als wären sie nie gewesen.
    Verwundete und Gesunde, alle waren gleich, und was die fliegenden Feinde nicht taten, das vollendeten die auf der Erde in blinder Raserei. In so kurzer Zeit war die Schlacht vorbei, daß die Sonne inzwischen kaum über die Wolken gekrochen war. Die feindlichen Fuhrwerke, die marschierenden Soldaten und die Flugzeuge fegten ungestüm gen Norden, ein Wirbelsturm von Menschen und Metall. Und was zurückblieb, lag unbegraben auf der Straße, die durch den Urwald führte.
    Einige aber waren in den Urwald entwichen, und zu diesen gehörten Mayli und Pansiao und die drei Mädchen Siu-chen, An-lan, Hsieh-ying. Nachdem der Arzt Chung am vergangenen Abend Mayli verlassen hatte, wurde sie sehr unruhig, und sie fand keinen Schlaf. »Er wäre nicht zu mir gekommen, wenn er nicht Angst gehabt hätte«, sagte sie sich, und je mehr sie an die Gegner dachte und an die üble Behandlung, die sie Frauen widerfahren ließen, desto unsicherer wurde sie. Schließlich gab sie es auf, Schlaf zu suchen, stand auf und ging zu Pansiao und den andern drei, die sie weckte.
    Sie flüsterte ihnen zu: »Mir ist so bang zumute. Steht auf und hört mich an.«
    Mit der Taschenlampe in der Hand stand sie zaudernd da, ließ das Licht auf die übrigen schlafenden Frauen fallen und betrachtete sie. Sie schlummerten eng aneinandergeschmiegt, müde und schmutzig, wie sie waren, und Mayli fühlte tiefes Mitleid mit ihnen. »Soll ich sie wecken oder nicht?« fragte sie sich. Sie blickte in die Dunkelheit des Himmels und ließ dann erneut den Lichtschein über die Frauen gleiten. Keine rührte sich. Die Nacht war so still, daß sie zu bereuen begann, ihrer Furcht nachgegeben zu haben. Sie weckte die übrigen nicht, ging zu den wenigen zurück, die sie aus dem Schlaf gescheucht hatte, und bat sie, sich wieder hinzulegen. »Ich hätte euch wegen meiner Angst nicht wecken sollen«, sagte sie zu ihnen. »Ich kann meine Handlungsweise nur mit meiner inneren Unruhe erklären.«
    So legten sie sich wieder nieder, und sie beschwichtigte die besorgten Mädchen. Nur eines sagte sie noch: »Sollten meine Befürchtungen aber doch zu Recht bestehen, dann begebt euch alle westwärts in den Urwald. Wählt eine Stelle, die ungefähr einen Kilometer vom Rand entfernt ist, und dort wartet auf mich.«
    Dies vernahmen sie, von Scheu ergriffen, und Pansiao rief mit gedämpfter Stimme: »Du machst mir angst, große Schwester.«
    »Du brauchst dich nicht zu fürchten«, entgegnete Mayli rasch. »Schlaf jetzt nur wieder.« Damit kehrte sie zu ihrem eigenen Lager zurück.
    Im stillen schämte sie sich, weil sie wußte, daß ihre Schlaflosigkeit und Unruhe durch den Gedanken an Sheng verursacht waren; immer wieder fragte sie sich, ob er wohl lebte oder tot war, ob sie ihn, wenn er noch lebte, jemals wiedersehen würde; denn er konnte ja auch gefangen sein. Nichts dünkte sie gut in dieser Ungewißheit. Sie hatte nicht geschlafen, und das Essen war Staub in ihrem Mund.
    So lag sie wach bis zum Morgen, und als das erste ferne Donnern am Himmel einsetzte, hörte sie es. Sie sprang auf und suchte das Himmelsgewölbe ab. Freilich, sie gewahrte die gelbe Wolke, und sie sah, daß es keine gewöhnliche Wolke war. Sie schrie ihre Frauen an, damit sie aufwachten, und sie rannte zu dem Ort, wo die Verwundeten und Kranken waren.
    »Lauft, lauft alleine, wer es nur kann«, rief sie. »Und wer nicht laufen kann, der lege sich auf den Bauch!«
    Während sie dies rief, stießen die Gegner schon vom Himmel nieder, sie warf sich zu Boden, doch zuvor sah sie noch, daß Chung gefallen war.
    Wer kann sagen, warum der eine verschont bleibt und der andere das Leben einbüßt? Sie lag reglos da, das Gesicht auf den Armen, ohne Schutz und Deckung, und sie fühlte die Hitze des Feuers über sich und ringsum, sie hörte das Donnern, das Jammern und Winseln, das Knattern der Maschinengewehre, und nichts berührte sie. Sie hob

Weitere Kostenlose Bücher