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Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
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tock. Teck tock. So machen die Krücken. Jetzt steht er hinter dir. Fühlst du sein Luftholen im Nacken? Gib mir die Brille, ich will ihn nicht mehr sehen! Da, jetzt steht er ganz dicht hinter dir.
    MÄDCHEN
(schreit auf und stürzt davon. Eine Tür kreischt und schlägt zu. Dann hört man ganz laut das «Teck tock» der Krücken.)
    BECKMANN
(flüstert)
: Der Riese!
    DER EINBEINIGE
(monoton)
: Was tust du hier. Du? In meinem Zeug? Auf meinem Platz? Bei meiner Frau?
    BECKMANN
(wie gelähmt)
: Dein Zeug? Dein Platz? Deine Frau?
    DER EINBEINIGE
(immer ganz monoton und apathisch)
: Und du, was du hier tust?
    BECKMANN
(stockend, leise)
: Das habe ich gestern nacht auch den Mann gefragt, der bei meiner Frau war. In meinem Hemd war. In meinem Bett. Was tust du hier, du? hab ich gefragt. Da hat er die Schultern hochgehoben und wieder fallen lassen und hat gesagt: Ja, was tu ich hier. Das hat er geantwortet. Da hab ich die Schlafzimmertür wieder zugemacht, nein, erst noch das Licht wieder ausgemacht. Und dann stand ich draußen.
    EINBEINIGER: Komm mit deinem Gesicht unter die Lampe. Ganz nah.
(dumpf)
Beckmann!
    BECKMANN: Ja. Ich. Beckmann. Ich dachte, du würdest mich nicht mehr kennen.
    EINBEINIGER
(leise, aber mit ungeheurem Vorwurf)
: Beckmann … Beckmann … Beckmann!!!
    BECKMANN
(gefoltert)
: Hör auf, du. Sag den Namen nicht! Ich will diesen Namen nicht mehr haben! Hör auf, du!
    EINBEINIGER
(leiert)
: Beckmann. Beckmann.
    BECKMANN
(schreit auf)
: Das bin ich nicht! Das will ich nicht mehr sein! Ich will nicht mehr Beckmann sein!
(Er läuft hinaus. Eine Tür kreischt und schlägt zu. Dann hört man den Wind und einen Menschen durch die stillen Straßen laufen.)
    DER ANDERE: Halt! Beckmann!
    BECKMANN: Wer ist da?
    DER ANDERE: Ich. Der Andere.
    BECKMANN: Bist du schon wieder da?
    DER ANDERE: Immer noch, Beckmann. Immer, Beckmann.
    BECKMANN: Was willst du? Laß mich vorbei.
    DER ANDERE: Nein, Beckmann. Dieser Weg geht an die Elbe. Komm, die Straße ist hier oben.
    BECKMANN: Laß mich vorbei. Ich will zur Elbe.
    DER ANDERE: Nein, Beckmann. Komm. Du willst diese Straße hier weitergehen.
    BECKMANN: Die Straße weitergehen! Leben soll ich? Ich soll weitergehen? Soll essen, schlafen, alles?
    DER ANDERE: Komm, Beckmann.
    BECKMANN
(mehr apathisch als erregt)
: Sag diesen Namen nicht. Ich will nicht mehr Beckmann sein. Ich habe keinen Namen mehr. Ich soll weiterleben, wo es einen Menschen gibt, wo es einen Mann mit einem Bein gibt, der meinetwegen nur das eine Bein hat? Der nur ein Bein hat, weil es einen Unteroffizier Beckmann gegeben hat, der gesagt hat: Obergefreiter Bauer, Sie halten Ihren Posten unbedingt bis zuletzt. Ich soll weiterleben, wo es diesen Einbeinigen gibt, der immer Beckmann sagt? Unablässig Beckmann! Andauernd Beckmann! Und er sagt das, als ob er Grab sagt. Als ob er Mord sagt, oder Hund sagt. Der meinen Namen sagt wie: Weltuntergang! Dumpf, drohend, verzweifelt. Und du sagst, ich soll weiterleben? Ich stehe draußen, wieder draußen. Gestern abend standich draußen. Heute steh ich draußen. Immer steh ich draußen. Und die Türen sind zu. Und dabei bin ich ein Mensch mit Beinen, die schwer und müde sind. Mit einem Bauch, der vor Hunger bellt. Mit einem Blut, das friert hier draußen in der Nacht. Und der Einbeinige sagt immerzu meinen Namen. Und nachts kann ich nicht mal mehr pennen. Wo soll ich denn hin, Mensch? Laß mich vorbei!
    DER ANDERE: Komm, Beckmann. Wir wollen die Straße weitergehen. Wir wollen einen Mann besuchen. Und dem gibst du sie zurück.
    BECKMANN: Was?
    DER ANDERE: Die Verantwortung.
    BECKMANN: Wir wollen einen Mann besuchen? Ja, das wollen wir. Und die Verantwortung, die gebe ich ihm zurück. Ja, du, das wollen wir. Ich will eine Nacht pennen ohne Einbeinige. Ich gebe sie ihm zurück.
    Ja! Ich bringe ihm die Verantwortung zurück. Ich gebe ihm die Toten zurück. Ihm! Ja, komm, wir wollen einen Mann besuchen, der wohnt in einem warmen Haus. In dieser Stadt, in jeder Stadt. Wir wollen einen Mann besuchen, wir wollen ihm etwas schenken – einem lieben guten braven Mann, der sein ganzes Leben nur seine Pflicht getan, und immer nur die Pflicht! Aber es war eine grausame Pflicht! Es war eine fürchterliche Pflicht! Eine verfluchte – fluchte – fluchte – fluchte Pflicht! Komm! Komm!

    3. Szene

    (Eine Stube. Abend. Eine Tür kreischt und schlägt zu. Der Oberst und seine Familie. Beckmann.)

    BECKMANN: Guten Appetit, Herr Oberst.
    DER OBERST
(kaut)
: Wie bitte?
    BECKMANN: Guten

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