Das Gesicht der Anderen
doch ihre Hände verfehlten sich um Haaresbreite. Er sah, wie Tessa nach einer Baumwurzel griff, die aus dem Felsen ragte. Charlie hing immer noch an ihr, er würde nicht loslassen. Dante konnte nur noch beten.
Das durfte nicht wahr sein! Sollte er Amy etwa ein zweites Mal verlieren? Das erste Mal hatte er kaum verkraftet.
“Tessa!” Er legte sich auf den Bauch und streckte den Arm so weit wie möglich in ihre Richtung aus, aber er erreichte sie nicht. “Lass sie los, du Scheißkerl!”, rief er Charlie zu.
“Niemals.” Charlie Sentell grinste.
Dieses Schwein.
Tessa strampelte, um sich aus Charlies Klammergriff zu befreien. Plötzlich spürte sie, wie sich sein Griff lockerte. Seine Hände rutschten zu ihren Hüften. Sie strampelte weiter und klammerte sich wie besessen an der Baumwurzel fest. Gleichzeitig versuchte Dante wieder, zu ihr zu gelangen. Er war noch ein Stück weiter nach vorn gekrochen und stemmte seine Füße fest in den Boden, um Halt zu gewinnen.
Charlies Griff glitt über ihre Oberschenkel.
“Ich kann mich nicht mehr halten!”, rief Tessa. “Er zieht mich mit runter!”
“Halt durch, Tessa! Bitte, halt durch!”
Plötzlich packten große Hände Dante von hinten. Er sah sich um und erblickte seine Kollegen. Dom Shea hielt seinen einen Fuß fest, Vic Noble den anderen.
Gott sei Dank!
Im festen Griff seiner beiden Kollegen robbte Dante weiter die felsige Uferböschung hinab, bis seine Fingerspitzen Tessa erreichten. Charlie hing jetzt nur noch an ihren Unterschenkeln. In diesem Augenblick zog Dante sie nach oben. Charlie Sentell verlor den Halt und stürzte in die Tiefe.
Dante sah nicht, wie Charlie im Wasser aufschlug, aber er wusste, dass er den Sturz nicht überlebt hatte.
“Dante.” Tessa kuschelte sich an ihn und hielt sich mit aller Kraft an ihm fest.
“Er ist unser Held, Mama. Er hat mich ein zweites Mal gerettet. Und dich jetzt auch.”
Leslie Anne machte sich von Lucie los, die sie bis zu diesem Moment zurückgehalten hatte, und rannte zu ihrer Mutter und Dante. Tessa schloss ihre Tochter in die Arme. Dante legte schützend seine Arme um die beiden.
“Lucie, bringst du Dante, Ms. Westbrook und Leslie Anne zurück zum Haus?”, fragte Dom. “Vic und ich informieren den Sheriff und gehen dann runter zum Fluss und suchen nach Sentells Leiche.”
Mittlerweile waren einige Stunden vergangen. Sheriff Coburn war da gewesen und wieder gegangen, man hatte Charlie Sentells Leiche aus dem Fluss gezogen, und im Haus hatte G. W. ein Machtwort gesprochen – er hatte Celia, Myrle, Olivia und Tad nach Hause geschickt. Tessa zog Dante mit sich, als sie Leslie Annes Zimmer verließ.
“Sicher, dass wir sie allein lassen können?”, fragte er.
“Sie ist ja nicht allein. Tante Sharon und Daddy sind bei ihr und bleiben auch bei ihr. Wir beide können uns also ein paar Minuten unterhalten.”
“Meinst du, für das, was wir zu besprechen haben, reichen ein paar Minuten?”
“Wir können nicht
alles
besprechen”, sagte Tessa, “selbst wenn wir hundert Jahre alt werden. Aber ein paar Punkte können wir doch relativ schnell klären.”
“Und die wären?”
“Gehen wir nach unten”, schlug Tessa vor. “Ich möchte ungestört sein.”
Dante folgte ihr die Treppe hinunter in die Bibliothek. Tessa schloss die Tür und verriegelte sie, dann wandte sie sich zu ihm. Alles, was er sah, waren Amys blaue Augen.
“Ich bin vielleicht irgendwann einmal eine Frau namens Amy Smith gewesen, aber daran erinnere ich mich nicht. Im Grunde bin ich Tessa Westbrook. Kannst du mich als die akzeptieren, die ich
jetzt
bin?”
“Was soll das heißen? Ob ich dich so lieben kann wie damals? Natürlich kann ich das. Und ich tue es auch. Ich glaube, irgendwo tief in mir drin habe ich von Anfang an gespürt, dass du Amy bist.”
Sie stöhnte. “Genau das meine ich. Ich bin nicht Amy! Und ich werde nie Amy sein. Egal, wie sehr du dir wünschst, dass ich mich an damals und an das, was wir einander bedeutet haben, erinnere – ich tue es nicht. Nie mehr. Die Ärzte haben es mir erklärt – meine Erinnerung aus dieser Zeit ist verloren.”
Er wusste, dass sie recht hatte, aber es fiel ihm schwer, es zu akzeptieren.
Als er die Hand nach ihr ausstreckte, wich sie ihm aus. “Du hast dich zu mir hingezogen gefühlt, als du noch gar nicht wusstest, dass ich einmal Amy war. Glaubst du, du wirst es schaffen, auch Tessa Westbrook zu lieben?”
“Ich liebe dich – ganz egal, wie du heißt. Du und ich,
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