Todsünde (German Edition)
1
Ein Gewitter war im Anmarsch und Lindsay atmete erleichtert auf. Gerade als die ersten dicken Regentropfen vom Himmel fielen, flüchtete sie in den Hauseingang. Der Wind hatte ihr Haar verweht und sie kramte in ihrer übergroßen blauen Handtasche nach dem kleinen Taschenspiegel, um zu sehen, wie schlimm es war.
Oh je, dachte sie, ich sehe aus wie eine Vogelscheuche. Doch eigentlich war das auch egal, es war alles nicht mehr von Bedeutung.
Sie lief die Treppen bis in den dritten Stock hoch, denn der Fahrstuhl blieb ständig stecken, und darauf konnte sie nun wirklich gut verzichten. Sie klopfte an seine Tür.
„Hallo, mein Schatz!“, begrüßte Robert sie. Er stand lässig da, gut aussehend und charmant wie immer. Am liebsten wäre sie ihm gleich in die Arme gefallen, wenn sich nicht in ihrem Hinterkopf ständig diese eine Szene vom letzten Donnerstag abgespielt hätte.
Lindsay hatte bei Robert, mit dem sie bereits seit zwei Jahren zusammen war, übernachtet. Als sie am Morgen aus dem Bad kam, hörte sie mit an, wie er mit einer anderen sprach. Am Telefon. Und so, wie er mit derjenigen sprach, war klar, dass er Lindsay noch immer unter der Dusche vermutete.
Sie konnte nicht jedes Wort verstehen, aber „Ich kann es kaum erwarten“, „bis später“ und „Du bist die Einzige für mich“ hatte sie genau gehört. Sie wäre am liebsten nackt aus der Wohnung gerannt, so sauer war sie, so sicher, dass sie ihn nie wiedersehen wollte.
Er hatte es ihr versprochen! Er hatte fest versprochen, ihr das nicht noch einmal anzutun.
Als er sie mit Tränen in den Augen im Türrahmen stehen sah, kam er gleich auf sie zu und hatte natürlich eine Erklärung parat. Er wusste nicht, wie viel sie gehört hatte und versuchte es so: „Lindsay, Süße, du musst keine Angst haben. Das war nur eine Kundin, die ich später noch treffen muss.“ Robert war Versicherungsmakler.
„Und du kannst es kaum erwarten, sie zu sehen?“, zitierte sie ihn.
„Ich muss das machen, Lindsay. Ich muss mit den weiblichen Kunden flirten. Was denkst du, wie es auf dem Markt aussieht? Diese Dame hat eine Boutiquenkette. Wenn sie ihr Unternehmen bei uns versichert, ist mir eine fette Provision sicher. Du solltest mehr Verständnis und Engagement zeigen, schließlich tue ich das für uns. Damit ich dich in teure Restaurants einladen kann, dir schöne Sachen kaufen kann. Ich muss sagen, ich bin enttäuscht von dir. Ich habe gedacht, du würdest mich ein wenig mehr unterstützen.“
Und wieder war sie die Schuldige und er das arme Opfer. Er wusste die Dinge immer so zu drehen und zu wenden, dass am Ende sie dumm da stand.
Sie beließ es dabei, bohrte nicht weiter nach. Er würde eh nichts zugeben.
Als die beiden sich vor Roberts Apartmenthaus verabschiedeten, ging Lindsay nicht direkt zur Arbeit – sie arbeitete als Empfangsdame in einer Modelagentur in SoHo – stattdessen folgte sie Robert.
Er hatte sie anscheinend nicht belogen. Er hatte einen geschäftlichen Termin, traf eine ältere Dame in einem kleinen Straßencafé vier Blocks weiter, in das sie sich außen an einen Tisch setzten. Und fast hätte sie sich schon über sich selbst geärgert, über ihre dämliche Eifersucht, sie musste etwas falsch verstanden haben – da sah sie eine andere Frau dazu treffen, eine wunderschöne junge Frau Anfang zwanzig mit wallendem, langem blondem Haar. Superschlank dazu, natürlich. Und ihrer guten Modelfigur gab sie zusätzlich noch Ausdruck mit einem viel zu knappen schwarzen Minirock.
Sie begrüßte die beiden – Robert mit einem Kuss auf die Wange – und als die ältere Dame sich nach etwa fünf Minuten verabschiedete, blieb sie.
Lindsay spürte Wut und Tränen in sich aufsteigen. Er hatte sie also doch belogen. Sollte sie wirklich bleiben und mit ansehen, wie er sie wieder betrog? Doch die winzige, kleine Hoffnung, die sie noch hatte, dass alles doch nur ein Irrtum war, ließ sie hinter ihrer Hausecke stehen bleiben und die beiden beobachten wie ein schlechter Privatdetektiv.
Sie redeten. Sie lachten. Die Frau legte ihre Hand auf Roberts Bein. Sie bestellten Champagner. Sie küssten sich. Sie standen auf und verschwanden Arm in Arm die Straße hinunter. Mehr Erniedrigung wollte Lindsay sich nicht geben, also ging sie in die entgegengesetzte Richtung, nicht ohne den Kopf noch ein paarmal umzudrehen und Ausschau nach ihrer großen Liebe zu halten, der im Begriff war, eine andere zu vögeln.
Wie hatte sie nur so dumm sein können, ihm zu
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