Das Gesicht des Teufels
aufteilen sollten. Er würde sich von hinten anschleichen. Arndt nickte. Vorsichtig machte er einen Schritt nach vorn, der Mann aber rührte sich nicht.
War er tot?
Arndt tat noch einen Schritt, derweil huschte Valentin an ihm vorbei und verschwand in der Dunkelheit.
Da sah der Mann auf. Er griff neben sich und hatte ein Rapier in der Hand, dessen Klinge er im Sand verborgen haben musste.
«Komm nur näher …»
Arndt schluckte. Wie konnte es sein, dass dieser Mann aussah wie der Rothenburger Stadtrichter? Wie war das möglich?
«Ihr seid …»
«Halt den Mund.»
Der Mann trat auf ihn zu und stieß plötzlich mit dem Rapier zu. Arndt schrie auf, doch der Stoß ging ins Leere. Panik erfasste ihn. Er drehte sich um und flüchtete, doch der Mann verfolgte ihn. Arndt hetzte den Trampelpfad zum Fluss hinab, hoffte, sich schwimmend auf die andere Seite zu retten.
Immer noch war der Mann hinter ihm.
Arndt stolperte über eine Wurzel. Unbarmherzig peitschte ihm ein Weidenzweig ins Gesicht. Es gelang ihm, sich wieder aufzurappeln, doch schon spürte er einen dumpfen Stoß zwischen den Schulterblättern. Er taumelte und platschte der Länge nach ins Wasser. Als er sich umdrehte, sah er den Mann vor sich. Er hielt das Rapier auf seine Brust gerichtet, stieß jedoch nicht zu. Stattdessenruhte sein Blick auf dem sich im Wasser spiegelnden Mond.
Plötzlich begann er glucksend zu lachen.
«Du bist ja der Bruder. Weißt du, dass ich deine Schwester ertränkt habe? Aber Hexen müssen brennen … sonst kommen sie wieder. Wasser hilft nichts.»
Arndt begriff kaum ein Wort. Rücklings robbte er zur Flussmitte, Aufreiter folgte ihm ohne Scheu. Sein Arm bewegte sich zurück, gleich würde er zustoßen.
Doch Valentin war schneller. Arndt hörte einen dumpfen Schlag, und Aufreiter brach auf der Stelle zusammen. Valentin aber schlug nicht einmal zu, sondern insgesamt viermal.
«Denn eins und zwei und drei und vier sind zehn! Zehn aber steht für das Gesetz. Das Gesetz!»
In den Satteltaschen fanden sie nicht nur Geld, sondern auch Essen, Kleidung und Schnüre. Sie brauchten bis zur Morgendämmerung, um Aufreiters Leiche mit Steinen zu beschweren und in der Mitte des Flusses zu versenken. Die Kleidung vergruben sie an einer schwer zugänglichen Stelle am Fluss, ebenso Sattel und Zaumzeug. Das Pferd ließen sie stehen, irgendwer würde sich seiner schon erbarmen.
Niemand verfolgte sie.
Dass sie aber Vogelfreie waren, Vogelfreie mit Geld, das sprach sich bei ihresgleichen rasch herum.
Epilog
Ulrich hatte sich Hannas Wunsch gerne gefügt: Die Nacht vor ihrer Hochzeit durfte sie in der Köhlerhütte am Wachsenberg verbringen. Abends hatte sie sogar noch einen Meiler angesetzt und ihn über die Nacht nach allen Regeln der Köhlerkunst bedient. Jetzt war es wieder so weit: Sie musste aufstehen, der Meiler wollte seine Herrin sehen.
Der Rauch wurde dichter, und die Wärmeabstrahlung nahm zu, als Hanna die Bretter von den Lüftungskanälen hob – und das war an diesem Novembermorgen durchaus angenehm. Denn es war kalt und feucht, der Himmel nebelverhangen. Träge waberte der Rauch um den Meiler und schien sich erst auf dem Boden ausruhen zu wollen, bevor er sich langsam verzog.
Hanna hüstelte, dann wischte sie sich übers Gesicht.
Du, Meiler, bist mein Abschiedsgeschenk an Hütte und Lichtung, mehr hab ich nicht. Arm ziehe ich hier heute am Tag der heiligen Elisabeth fort, aber jetzt weiß ich, dass es auch eine gute Zeit war. Sie betrachtete ihre Hände, lächelte. So schwarz, wie ihr jetzt seid, werdet ihr hoffentlich nie wieder werden … und, so Gott will, bald ein gesundes Kind halten dürfen.
Sie schaute in den lichter werdenden Himmel, ihre Stimmung hob sich: Freu dich, Hanna! Heute ist Deutschherren-Gedenktag und deine Hochzeit.
Ihr Blick schweifte über die Hütte und das Holzlager, glitt über die im Vorjahr verbrannten Bäume und verweilte schließlich auf der alten Eiche der Lichtung.
Ohne nachzudenken, schritt sie los. Als sie den Kronenrand erreicht hatte, zerriss der Nebel und ließ ein kleines Fleckchen blauen Himmel sehen. Schnell betete sie vor dem Grab ein Ave-Maria und ein Vaterunser, dann trat sie an den Stamm. Auf einmal wusste sie, was sie hier suchte und wollte. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, ihre Hände wurden feucht.
Sie lehnte ihre Wange an die Borke und lauschte. Nichts geschah. Auch nicht, als sie zögernd ihre Fingerspitzen in die Spalten steckte und mit den Nägeln an
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