Back to Black - Amy Winehouse und ihr viel zu kurzes Leben
Kapitel I
▶ Back to Black
Einführung
I m »Hawley Arms« waberten Rauchschwaden durch die Luft. Aus der Jukebox dröhnten die Shangri-Las, die Chrystals, Martha and the Vandellas und Dinah Washington; Musik aus den 1960ern, wie immer, wenn die 21 Jahre alte Amy Jade Winehouse diesen In-Pub in Camden im Norden Londons mit ihrer Anwesenheit beehrte (und nicht selten gehörig durcheinanderwirbelte).
Amy war Stammgast. Eigentlich schneite sie täglich herein, wenn sie sich in ihrer »Hood« Camden aufhielt und keine anderen Termine wahrnehmen musste; keinen Auftritt, kein Interview, keine Party, kein Date, keine Kochsause mit Lovern, Bekannten oder Freunden, kein Lunch mit ihrer Mutter Janis, ihrem Vater Mitchell (genannt Mitch), ihrem Bruder Alex oder ihrer Großmutter Cynthia. Dann spielte sie Pool, trank, rauchte, baute Joints, fütterte die Jukebox, spielte wieder Pool, trank, rauchte.
Zu dieser Zeit schauten der Skandal-Sänger Pete Doherty und einige Mitglieder der Indie-Band Razorlight ebenfalls häufiger im »Hawley Arms« vorbei. Etwas seltener, aber dennoch regelmäßig, verirrte sich auch Sadie Frost hierher, die Exfrau des Schauspielers Jude Law und intime Freundin des Supermodells Kate Moss aus dem feineren
Londoner »Primrose-Hill-Set«, die dann meistens einen ihrer »Toy Boys« im Schlepptau hatte. Irgendwas zu feiern gab es im »Hawley Arms« immer.
Es war Frühling 2005, und eineinhalb Jahre zuvor, am 20. Oktober 2003, war Amys Debütalbum »Frank« herausgekommen. Die Promotion und die Konzerte hatte sie erfolgreich abgehakt, und deshalb hatte sie jetzt auch nur wenige Verpflichtungen, dafür aber sehr viel Zeit zum Abhängen.
Ihr Management und ihre Plattenfirma Island Records warteten zu dem Zeitpunkt bereits mit nur mühsam unterdrückter Ungeduld auf etwas Neues – auf einen vielleicht noch genialeren Wurf ihrer sensationellen jungen, weißen Sängerin, die von einer himmlischen Macht mit einer schwarzen, göttlichen Stimme beschenkt worden war; einer unglaublich variablen Stimme, die man einer mindestens 40-, 50-jährigen Farbigen zuordnen mochte; einer Stimme, die rauchig und lasziv, kraftvoll und flüsternd oder auch rostig und dann wieder völlig klar und unschuldig klingen konnte. Je nach Amys momentaner Gemütsverfassung und dem jeweiligen Song, der dazu passte. Oder umgekehrt. So sang sie, und so schrieb sie auch ihre Songs, so nahm sie sie auf, und so trat sie auf. Jeder, der mit ihr im Studio oder auf der Bühne arbeitete, hatte inzwischen begriffen, dass ihr Seelenleben und ihr Soul untrennbar miteinander verbunden waren. Und daher wusste auch jeder, dass es vollkommen zwecklos war, in irgendeiner Weise Druck auf Amy auszuüben. Ihnen blieb also nichts anderes übrig, als sich zu gedulden und zu warten, bis sie von sich aus mit neuem Material ankam,
mit Songs die jene auf »Frank« noch toppen sollten – was nicht leicht sein würde.
Ein Jahr zuvor – 2004 – war Amy für »Stronger than me« aus ihrem Debütalbum gleich mit dem begehrten »Ivor Novello Award« in der Kategorie »Best Contemporary Song« ausgezeichnet worden. Sie war zudem für den »Brit Award« (als »Best Female Singer«) nominiert gewesen, der aber an die Sängerin Dido gegangen war. Amy bedeutete der »Novello«, der nach dem walisischen Komponisten, Autor und Schauspieler (der eigentlich David Ivor Davies hieß) benannt ist und seit 1955 jährlich in London verliehen wird, aber ohnehin viel mehr.
»Es ist ein Preis für Songwriter«, hatte sie nach der Preisverleihung stolz gesagt, »und genau das ist es, was ich bin – eine Songwriterin. Ich versuche nicht, die beste Frau zu sein, ich versuche bloß, Songs zu schreiben.«
Von einigen Musikkritikern wurde sie da bereits mit der legendären amerikanischen Sängerin Billie Holiday verglichen.
Das relativ ruhige Pop-Album »Frank« mit seinen eher jazzigen und sparsam eingesetzten Soul-Elementen war zwar kein riesiger kommerzieller Erfolg gewesen, dafür aber als interessanter Geheimtipp für aufgeschlossene Musikliebhaber gehandelt worden. Vornehmlich in den gebildeten, erfolgreicheren jüngeren Kreisen der Yuppies und »Dinks« (»Double Income no Kids«) galt es als hip, Amy Winehouse zu kennen ; diese angeblich ziemlich durchgeknallte Sängerin, von der es im Allgemeinen hieß, sie besäße ein gewaltiges künstlerisches und stimmliches Potenzial, das sie jedoch bis jetzt wahrscheinlich nicht mal zu einem Drittel abgerufen
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