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Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Titel: Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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verschüttetem Bitter und schnüffelten im Abfall. Hier gab es nur zwei Gründe dafür, weshalb eine Frau sich nach Anbruch der Dunkelheit noch auf der Straße aufhielt, und Helaina war allein gekommen. Sie bewegte sich zielstrebig, um eindeutige Angebote zu vermeiden.
    Im Gehen hielt sie ihr Kopftuch tief ins Gesicht gezogen, damit sie niemand erkannte. Sie riskierte einen Besuch in der Discantus-Kathedrale. Sie hatte schon vieles in Bewegung gesetzt, aber zumindest diese wichtige Angelegenheit musste sie noch erledigen.
    Die Kathedrale hatte einst neben dem Solath Mahnus als Juwel von Decalam gegolten. Ihre marmornen Giebel und mächtigen Kuppeln waren zur selben Zeit erbaut worden wie der Palast. Jetzt lag sie inmitten eines heruntergekommenen Viertels, dessen Bewohner sich nicht an ihrer Pracht erfreuten oder sie gar nicht erst bemerkten. Einige waren sogar vulgär genug, das Gebäude hin und wieder zu beschädigen oder zu verunstalten, so dass die unteren Fenster mit dicken Brettern geschützt werden mussten und der Marmor Flecken aufwies, wo Männer sich an der Mauer erleichtert hatten.
    So weit war es gekommen, und das unter ihrer Regentschaft, obwohl die Liga der Edukation stets behauptete, sie hätte das Volk aus dem Aberglauben und den Mythen der Vergangenheit errettet. Offenbar fühlten sich viele Menschen vor allem frei zu pinkeln, wo es ihnen beliebte.
    Sogar an die Wahrzeichen von Dingen, die ihnen einst so kostbar waren.
    Die Regentin stieg die Stufen vor der Kathedrale empor und klopfte leise an. Gleich darauf öffnete sich die Tür gerade so weit, dass ein Kopf herausspähen konnte. Der Wächter riss die Augen auf, als Helaina das Tuch sinken ließ, um ihm ihr Gesicht zu zeigen. Sofort trat er zurück und bat sie herein.
    Die Tür schloss sich hinter ihr. »Ich wünsche Belamae zu sprechen.«
    Dass Helaina den richtigen Namen des Maesters nannte, verblüffte den Wächter ein zweites Mal. Diesen Namen hatte er gewiss noch nicht oft gehört. Aber Helaina und der Musiker und Komponist waren seit ihrer Kindheit miteinander befreundet, und sie konnte sich einfach nicht an einen anderen Namen gewöhnen.
    »Selbstverständlich, Hoheit.« Der Mann eilte ihr voraus durch die schwach erleuchteten Flure der Kathedrale. Die Regentin folgte ihm.
    Sie hörte fernen Gesang, ein Summen, das aus den Marmorsäulen selbst zu dringen schien. Von den Dingen, die sie mit ihrem alten Freund besprechen musste, war dieses Lied das allerwichtigste.
    Der Wächter führte sie unter hohen Gewölbedecken hindurch zu einer ganz gewöhnlich aussehenden Tür. Er klopfte an und trat dann mit einer Verbeugung zurück. Gleich darauf öffnete sich die Tür, und ihr alter Freund mit seinem leuchtend weißen Haar lächelte ihr strahlend entgegen, ehe er sie fest an sich zog.
    »Du kommst mich nicht oft genug besuchen«, sagte Belamae.
    »Du mich auch nicht«, erwiderte Helaina. »Doch in meinem Fall ist das noch verwerflicher – wo könnte man einen angenehmeren Nachmittag verbringen als in deiner Kathedrale?«
    »Und dennoch kommst du im Dunkeln, weil du deinen Besuch lieber geheim hältst. Ich fürchte, mir wird nicht gefallen, was du mit mir besprechen möchtest.« Belamae nickte dem Wächter dankend zu und schickte den Mann fort.
    Gemeinsam gingen Helaina und Belamae in sein hell erleuchtetes Studierzimmer und nahmen einander gegenüber in Sesseln vor dem kalten Kamin Platz. Sie ließ sich in das weiche Leder sinken. Die Sessel dienten nicht zeremonieller Förmlichkeit, sondern der Gemütlichkeit – ein seltener Genuss für sie. Sie schloss kurz die Augen und konzentrierte sich auf das ferne, melodische Summen, ehe sie auf den Zweck ihres Besuches zu sprechen kam. Ihr Herz brauchte ein wenig Trost, denn die Anliegen, mit denen sie hergekommen war, wogen schwer.
    Nach ein paar Augenblicken sagte Belamae: »Du bist wegen des Leidensliedes hier.«
    Die Regentin seufzte und nickte dann. »Es gibt Gerüchte, Belamae, und wenn sie wahr sein sollten, gäbe es dafür nur eine denkbare Ursache. Ich weiß, dass du mich nicht belügen wirst, und ich muss die Wahrheit kennen.«
    Der Maester tätschelte ihr Knie, dann stand er auf und trat an sein Notenpult. Dort blätterte er mehrere Seiten Pergament durch. Er schob sie zu einem Stapel zusammen und setzte sich wieder. »Das lese ich jeden Tag.« Er reichte Helaina die Blätter.
    Sie nahm sie und fragte: »Was ist das?«
    »Die Musik, zu der die Verse der Verlassenen gesungen werden.« Er lehnte

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