Bittersueße Sehnsucht
Prolog
Stephanie Niemeyer baute sich in der großen Pause plötzlich vor mir auf und brüllte mir direkt ins Gesicht: „Mila! Du bist nicht nur dumm, sondern auch unglaublich hässlich!“
Ich schluckte, blickte einfach durch sie hindurch und setzte meinen Weg über den Pausenhof fort. Mein Vater hatte mir immer das Gleiche geraten: „Ignorier sie einfach, dann wird ihnen irgendwann langweilig und sie lassen dich bestimmt in Ruhe.“ Mehr Zeit, sich um meine Probleme zu kümmern, ließ ihm sein Job als Unternehmensberater leider nicht. Er war immerzu beschäftigt und ich wusste zwar, dass er den Job natürlich auch angenommen hatte, damit es mir an nichts fehlte, aber dafür fehlte er mir sehr.
Mila, das bin ich. Mein Vater hatte mir diesen Namen gegeben, in Erinnerung an meine Mutter; er ist slawischer Herkunft und bedeutet „die Liebe“. Meine Mutter hatte die Entbindung nicht überlebt und mein Leben konnte nur durch großen medizinischen Aufwand gerettet werden.
Paps, der mich alleine groß zog, erzählte mir immer, dass ich ein extrem ruhiges Baby war. Und auch in meiner Kindheit und der gesamten Schulzeit war ich immer zurückhaltend und in mich gekehrt.
Leider war mein Verhalten auch gefundenes Fressen für meine Mitschüler. Für sie war ich eine verstörte Außenseiterin. Doch anstatt mich zu ignorieren, hatte es sich die gesamte Klasse zur Aufgabe gemacht, mich ständig zu provozieren, um mir wenigstens eine winzige Reaktion zu entlocken. Ich ertrug es stumm und mit geistiger Abwesenheit, wenn sie mir ihre neuesten Gemeinheiten an den Kopf warfen.
Anscheinend hatte meine Strategie aber genau die gegenteilige Wirkung. Denn an einem Montagvormittag, als unsere Mathestunde ausfiel und wir von einer Lehrerin beaufsichtigt wurden, die ihre Motivation wohl jeden Morgen am Eingang abgab, trieben meine Mitschüler ihre Quälereien auf die Spitze.
Alles begann damit, dass Bastian, der aussah, wie eine Mischung aus einem Gnom und einem besonders hässlichen Troll, sich mein Halstuch schnappte, es triumphierend hoch hielt und breit über sein pickeliges Gesicht grinste. Wortlos stand ich auf, um es mir zurück zu holen. Doch Bastian warf das Tuch seinem Kumpel Marc zu, der das schmutzige Waschbecken im Klassenzimmer damit auswischte. Ich schluckte die aufsteigende Wut hinunter und wollte mich resigniert wieder auf meinen Platz setzen. Doch so weit kam ich nicht, denn zwei andere Mitschüler packten mich an den Armen und drückten mir den Tafelschwamm ins Gesicht. Angewidert presste ich meine Lippen aufeinander und versuchte, mich aus ihrem Griff zu winden. Die Lehrerin saß auf ihrem Stuhl und betrachtete die Szene, ohne die Miene zu verziehen, oder ein Wort zu sagen. Ich schwieg weiter und ertrug die Demütigung. Doch als Mischa mich plötzlich zu Boden stieß, sich auf mich legte und versuchte, mir die Hose herunter zu ziehen, schrie ich!
Ich schrie so laut ich konnte und schlug panisch mit meinen Händen um mich. Tränen brannten in meinen Augen und ich konnte kaum atmen. Alle aus der Klasse hatten sich mittlerweile um uns versammelt, johlten und feuerten Mischa an. Mein Körper hatte sich vor Angst komplett versteift und ich weinte, aus purer Verzweiflung!
Wo ist diese bescheuerte Lehrerin und warum unternimmt sie denn nichts?!
Da ertönte eine gelangweilte Stimme vom Lehrerpult: „Warum hörst du nicht auf zu schreien Mila, vielleicht lassen sie dich ja dann in Ruhe.“
Mir wurde übel und die Zimmerdecke über mir, begann sich zu drehen.
In diesem Moment klingelte es zum Ende der Stunde. Mischa kletterte von meinem erstarrten Körper, schnappte sich seine Schultasche und verließ nach einem High Five mit seinem besten Kumpel den Klassenraum.
Ich lag immer noch auf dem Boden. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals und ich hielt mit eisernem Griff meinen schmutzigen Schal an die Brust gepresst. Noch nie war ich so froh gewesen, die Schulglocke zu hören. Mein Atem ging stoßweise und ich war unfähig, mich zu bewegen.
Jemand packte mich an der Schulter und rüttelte an mir. „Mila! Mila!“
Ich schlug die Augen auf und blickte in das Gesicht von Monika. Sie war die einzige Mitschülerin, die mich in Ruhe ließ. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie auch nicht besonders beliebt war. Trotzdem waren die Anderen nicht annähernd so gemein zu ihr, wie zu mir. Verwirrt blickte ich sie an. Monika hielt mir ihre Hand hin. Ich ergriff sie und sie zerrte mich auf die Beine. Wortlos packte ich meine
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