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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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nach zu tönendem Leben zu erwachen. Eine Gesangsstimme zog ihre Bahn – in einer bestürzend schönen Kantilene über sanft begleitenden Streichern. Sehr langsames Tempo, fast träumerisch, hypnotisch … Alban lief ein Schauer über den Rücken. Das Stück war faszinierend.
    »Ich weiß nicht, weshalb er darum so ein Geheimnis macht«, sagte Zimmermann. »Bis heute Nachmittag wusste ich noch nicht einmal, dass in dem Umschlag überhaupt Noten waren. Ist das denn etwas Besonderes?«
    Alban löste sich aus der Welt der imaginären Klänge, auch wenn es ihm schwerfiel. Was war mit dem Text? Italienisch – wie die meisten Opern der Barockzeit. Er kannte die Worte. Es war der Text einer berühmten Arie von Georg Friedrich Händel. Lascia ch’io pianga . Aus der Oper »Rinaldo«.
    Aber die Musik! Das war nicht Händels Arie. Das war etwas völlig anderes. Als habe jemand das Stück neu komponiert. Den Text noch einmal vertont. Seltsam.
    »Und?«, fragte Zimmermann.
    Alban schlug wieder das erste Blatt um und nahm noch einmal den Beginn des Stückes in Augenschein. Er ging erneut ein paar Seiten durch und suchte Korrekturen, die normalerweise mit Überklebungen gemacht wurden. Er fand keine. Der Autor hatte die Partitur in einem Durchgang fehlerlos in allerschönster Handschrift geschrieben.
    Er riss sich endgültig los und wandte sich wieder seinem Besucher zu.
    »Also, Herr Zimmermann, Ihr Privatleben geht mich nun wirklich nichts an. Was ich Ihnen über Herrn Dr. Joch sagen kann, wissen Sie bereits. Diese Partitur allerdings …«
    »Ja?«
    »Sie ist interessant.«
    »Tatsächlich?«
    Alban sah auf und blickte in Zimmermanns Gesicht, das eine Mischung aus Neugier und Unverständnis zeigte. Wie sollte er dem jungen Mann, der offensichtlich wenig von Musik verstand, sein plötzlich aufgeflammtes Interesse erklären? Es war ein Gefühl, eine Ahnung. Oder einfach der Wunsch zu hören, was in diesen Noten verborgen war.
    »Ich habe einige Kontakte zu Bonner Musikwissenschaftlern. Ich könnte mich erkundigen, was Fachleute von dem Manuskript halten. Unter der Voraussetzung, dass Sie mir die Partitur ausleihen.«
    Zimmermanns Blick rutschte ins Unschlüssige.
    »Die Entscheidung liegt selbstverständlich bei Ihnen«, setzte Alban nach.
    »Na ja. Es ist ja nur Musik … Hoffentlich ist Wolfgang nicht böse, dass ich den Umschlag geöffnet habe. Aber jetzt ist es ja sowieso zu spät. Brauchen Sie die Noten lange?«
    »Ein paar Tage vielleicht.«
    »Ist die Partitur denn wertvoll?«
    »Ich kann bestenfalls herausfinden, ob sie künstlerischen Wert hat. Jedenfalls dürfte die Handschrift selbst nicht alt sein. Wenn das Werk von einem großen Klassiker stammt, handelt es sich lediglich um eine Abschrift. Wertvoll wäre dann nur das Original. Aber ich muss sagen, was ich beim ersten Überfliegen gesehen habe, hat mein Interesse geweckt.«
    Zimmermann nickte. »Behalten Sie die Noten eine Weile. Als Wiedergutmachung für die gestohlene Zeit. Ich melde mich wieder bei Ihnen. Vielen Dank für alles.«
    Alban begleitete den jungen Mann die Treppe hinunter und bis an die Haustür. Im Flur duftete es nach Abendessen. Aus der Küche drang lautes Brutzeln, und dazu lief noch lautere Popmusik aus dem Radio. Simone hatte ihren Arbeitsplatz im Garten mit dem hinter dem Herd vertauscht.
    Zimmermann verabschiedete sich, verließ das Haus und winkte Alban an dem kleinen eisernen Tor noch einmal zu.
    Ein paar Sekunden lang waren seine Schritte noch auf der abendlichen Beethovenallee zu hören. Dann war er verschwunden.

    Der Junge steht am Fenster und beobachtet, wie sich die Dunkelheit über das Land senkt. Ihm ist nicht bewusst, dass er schon eine halbe Stunde völlig reglos an dieser Stelle verharrt.
    Er fühlt sich leer. Die Freude über die eigenen Fähigkeiten, die ihn noch vor Monaten beseelt hat, ist verschwunden und hat nichts als ein großes schwarzes Loch hinterlassen.
    Er hat es aufgegeben, darüber nachzudenken, was geschehen ist. Zu lange hat er die Nächte damit verbracht, zu grübeln. Zu lange hat er versucht zu ergründen, warum man ihn verlassen hat.
    Im Schein der Lampe glänzt rotes Holz in der einen Ecke des Raumes. Der Junge streicht mit der Hand über die lackierte Oberfläche. Es hätte eine liebevolle Geste sein können, doch sie erfüllt ihn mit noch stärkerem Schmerz. Etwas ist zerbrochen. Es fühlt sich an, als sei er ein anderer geworden.
    Er legt sich auf das schmale Bett. Lange starrt er an die Decke. Ist

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