Feindgebiet
Kapitel 1
Er zog mit aller Kraft an dem letzten Schuttbrocken und zuckte zusammen, als sich das raue Mauerwerk in seine empfindlichen Fingerspitzen bohrte. Mit einiger Anstrengung hob er das Gewicht bis auf Kniehöhe an, stolperte einige Schritte damit weiter und ließ es auf den Haufen fallen.
Senior Captain (Nachrichtendienst) Lo Prek trat zurück, um seine Arbeit zu begutachten. Nur noch eine große, verbogene Stahltür versperrte ihm den Weg. Der Tahn-Offizier arbeitete schon stundenlang daran, diese Tür freizubekommen. Hinter ihr befand sich, so hoffte er jedenfalls, die Auflösung des Puzzles, dessen Einzelteile er schon seit so vielen Jahren zusammentrug, dass er mit dem Zählen aufgehört hatte.
Er wartete einige Minuten, als fürchtete er sich vor einer möglichen Enttäuschung. Fast geziert wischte sich Prek das Gesicht mit einem seidenen Taschentuch ab, das er sogleich wieder im Ärmel seiner Uniformjacke verschwinden ließ. Für einen Tahn war Prek sehr groß und so dünn, dass es beim Hinschauen fast weh tat. Sein Körper bestand aus kaum mehr als Haut und Knochen; darauf saß ein langes Pferdegesicht mit zu weit auseinander stehenden Augen und einer zu kurzen Nase, die seine Oberlippe unnatürlich lang erscheinen ließ.
Prek löste einen kleinen Laserschneider von seinem Koppel und fing an, die Tür aufzuschneiden. Prek gehörte nicht zu den Leuten, die bei der Arbeit vor sich hin summten oder fluchten, wenn es einmal nicht so rasch wie geplant voranging. Auf seiner letzten Stelle, auf der er fast sein ganzes Berufsleben verbracht hatte, war er für seine sogar für einen Tahn ungewöhnlich ausgeprägte Vorliebe für absolute Ruhe bekannt gewesen und dafür, dass er sich jeder auch noch so kleinen Aufgabe mit vollster Hingabe widmete. Niemals erlaubte er seinen Gedanken auch nur die geringste Abschweifung. Das gleiche erwartete er auch von seinen Untergebenen. In seinem alten Büro machte der Scherz die Runde, dass, ginge es nach Prek, in die Stellenausschreibung ein in den Kopf implantierter Monitor als Grundvoraussetzung aufgenommen werden müsste.
Prek war der Scherz zu Ohren gekommen. Obwohl er nicht wusste, was daran so komisch sein sollte, erkannte er doch seinen wahren Kern an. Captain Prek wusste um seine obsessive Persönlichkeit. Er empfand sie weder als besonders wünschenswert, noch ärgerte er sich darüber. Er war nun einmal so. Er hatte gelernt, mit dieser Charakterschwäche zu leben und sie zu seinem Vorteil zu nutzen.
Ein metallisches Knirschen verriet, dass die Tür ihr eigenes Gewicht nicht mehr halten konnte; dann knallte sie flach auf den Boden. Prek hängte den Schneidbrenner wieder an sein Koppel und betrat das Dokumentationszentrum der besiegten 23. Imperialen Raumflotte. Hätten die Tahn Götter gehabt, Prek hätte garantiert ein Gebet geflüstert. Er war sehr weit gereist und hatte sehr viele Anläufe genommen, um an diesen Punkt zu gelangen. Wenn Prek nicht völlig falsch lag, konnte er an diesem Ort die Spur des Mannes aufnehmen, der seinen Bruder ermordet hatte.
STEN, (kein Vorname). Commander der Imperialen Raumflotte. Letzter bekannter Einsatz: Befehlshabender Offizier, 23. Taktisches Einsatzgeschwader, 23. Imperiale Flotte. Zuvor: Cmdr. Imperiale Leibwache. Zuvor: Lt. Eintrag. Dienst bei versch. Gardeeinheiten. BEMERKUNG: Nachr.dienst hält diese Angaben für gefälscht; wahrsch. Kat. 1. STEN höchstwahrscheinlich mehrmals eingesetzt bei versch. Geheimdienstmissionen. ALLGEMEINE BESCHREIBUNG: Spezies: Mensch. Geschlecht: männlich. Alter: unbekannt (Aufzeichnungen vernichtet); geschätzt: erstes Viertel der Lebensspanne. Geburtsort: unbekannt. Größe: knapp unter Imperialer Norm. Körper: athletisch, wenig Körperfett, hoher Muskelanteil. Haar: schwz. Allg. Ges.zustand: hervorragend. Unveränderliche Kennzeichen oder besondere Eigenschaften: keine. Familie: unbekannt. Interessen: kein Eintrag. Freunde: kein Eintrag.
Prek verzweifelte keineswegs, als sein Blick auf das Bild der Verwüstung fiel. Durch die Einwirkung gewaltiger Hitze waren Ordnerschränke zu bizarren Gebilden verformt worden. An den Stellen, an denen einst Raumteiler und Möbel gestanden hatten, befanden sich jetzt überall im ganzen Raum verteilt kleine Häufchen weißer Asche. Beim Gehen wirbelten Preks Stiefel feine Aschewölkchen auf, die sich alsbald in Mund und Nase bemerkbar machten. Er stülpte sich ein Atemgerät über das Gesicht und fing an, das Durcheinander, das einmal die
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