Das Gift der Schmetterlinge (German Edition)
und mit einem einzigen raschen Augenaufschlag zu beurteilen (begonnen wurde dabei stets mit den Schuhen). Die Männer standen in Konkurrenz zu Baron Bovrik de Vandolin.
Um Punkt sieben Uhr saßen alle an der großen Tafel, nur die Gastgeber fehlten noch. Aber was machte das schon! Der honigsüße Wein floss bereits üppig, und als die Uhr halb acht schlug, waren die Zungen gelöst, die Augen glänzten, hier und da ertönte schrilles Gelächter, und von Tischmanieren war nicht mehr viel zu bemerken. »Aaaah« und »Oooh« wurde gerufen, während man das Herrenhaus und die anderen Gäste bewunderte. Der Tisch, der gefährlich überladen war, ächzte unter der Last der Speisen, der silbernen Schalen und überreichlich aufgelegten Bestecke. Überreichlich deshalb, weil, je öfter die Gläser erhoben wurden, man sich umso weniger mit Messer und Gabel aufhielt und stattdessen die Finger zum Essen bevorzugte.
Die Feiernden, jeder einzelne von ihnen, aßen, als gäbe es kein Morgen. Was für ein Festmahl! Was für ein Bursche, dieser Trimalchio! Kaum war ein Krug Wein oder eine Platte mit Speisen herangeschafft, war beides geleert, und man forderte Nachschub. Über die ganze Länge der Tafel sah man offene Münder und fettglänzende bekleckerte Kinne, und die geplagten Diener wurden hier am Ärmel gefasst und dort an der Weste gezerrt, bis ihnen die Kleidung sozusagen in Fetzen am Leibe hing.
Hector hielt sich zurück und beobachtete die Szene als Außenstehender. Er konnte es sich nicht verkneifen, das Ergebnis so vieler Vorbereitungen zu betrachten, bevor er Withypitts Hall für immer verlassen würde. Und dann war da natürlich die Sache mit seinen Schmetterlingen. Er beobachtete die Gäste beim Essen, Hand zum Teller zum Mund, Hand zum Teller zum Mund, eine endlose Wiederholung. Haselmausschwänzchen hingen von ihren Lippen herab (anscheinend eine besondere Köstlichkeit); ganze Sperlinge verschwanden in den aufgerissenen Mündern, Pflaumen und Kirschen wurden in Mengen hinterhergeschoben, bis der Saft in alle Richtungen spritzte. Das war kein Hunger, das war die reine Gefräßigkeit.
Hector mochte nicht länger zuschauen. Als er sich abwandte, entdeckte er Bovrik, der sich am Ende der Tafel herumdrückte und aussah, als fühle er sich ausgesprochen unwohl. Wie erwartet, fiel er in seiner Aufmachung sofort ins Auge, er war in Mitternachtsblau mit Apricot- und Violetttönen erschienen. Hector wunderte sich nur, dass er eine Augenklappe trug. Er hatte gedacht, an einem Abend wie diesem würde er eines seiner glitzernden Glasaugen vorführen. Sein Händeringen und ständiges Gezupfe an den Ärmelaufschlägen machten Hector selber ganz nervös und so entschied er sich für das kleinere der beiden Übel und schaute wieder auf die lange Tafel.
Unten in der Küche, die inzwischen an eine dampfende Hölle denken ließ, schuftete Mrs Malherbe mit ihrer Truppe. Alle Augenblicke kam ein Diener im Eilschritt herein und verlangte mehr Essen, mehr Getränke, mehr von allem. Man konnte sich kaum rühren zwischen den Bergen von Speisen – toten und lebenden –, die auf jeder freien Fläche aufgebaut waren. Und all die zusätzlich umherrennenden Helfer! Und der Lärm! Befehle, oft genug widersprüchliche, wurden gebrüllt, Töpfe und Pfannen schepperten, Essen schwappte über, und ordinäre Sprüche schwirrten durch die Luft.
»Adelige nennen die sich«, brummte Mrs Malherbe und bearbeitete den Teig für die nächste Pastete. »Wie die Tiere sind sie. Und was haben sie zu dem heutigen Abend beigetragen? Nichts! Aber die ganz gewöhnlichen Leute, die Bauern und Jäger und Schäfer, die für all das Essen hier gesorgt haben, wo sind sie, frage ich euch?«
Oben hatten die Gäste inzwischen eine Verschnaufpause nach dem reichlichen Essen eingelegt – es war nur der erste Gang gewesen. Da ertönten Fanfaren und die Türen zum großen Saal öffneten sich.
»Man erhebe sich für Seine Lordschaft Burleigh Mandible und seine wunderschöne Gemahlin, Lady Lysandra Mandible«, kam die Aufforderung, und alle standen mühsam von ihren Stühlen auf, rülpsend und mit Knöpfen kämpfend, ihre Gläser und Weinkelche in Händen.
Lysandra trat als Erste ein und augenblicklich ging ein Raunen durch den Saal. Kein Zweifel, sie war wunderschön anzusehen in ihrem cremefarbenen Kleid mit den funkelnden Diamanten und schimmernden Perlen. Trotzdem war es erstaunlich schlicht. Die Damen, die etwas weit Aufwendigeres erwartet hatten, reagierten
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