Die Wassermuehle
K APITEL 1
„D as Ei ist hart.“
Es gab Dinge, auf die Hedi Winterfeldt allergisch reagierte. Der Satz: Das Ei ist hart stand auf dieser Liste oben. Vor allem montagmorgens kurz vor halb sieben. Sie verteilte Honig auf ihrem Toast. „Koch dir’s demnächst selber!“
Klaus Winterfeldt grinste. „Es kann nicht allzu schwer sein, den Messbecher bis zum richtigen Strich zu füllen, oder?“
„Es kann auch nicht allzu schwer sein, die schmutzige Wäsche in den Wäschekorb zu werfen, statt sie nach dem Zufallsprinzip im Schlafzimmer zu verteilen!“, sagte Hedi. Sie war beim Aufstehen auf die Gürtelschnalle getreten, die Klaus samt Hose hatte fallen lassen, wo er sie ausgezogen hatte: gestern Abend vor ihrem Bett.
Klaus fuhr sich durch sein Haar und schlug die Offenbach-Post auf. „Ich glaube, es ist ungefähr so schwer wie die Geschirrspülmaschine richtig einzuräumen.“
„Womit wir beim Thema wären.“ Die Spülmaschine kam gleich nach dem Ei.
Klaus ließ die Zeitung sinken und zwinkerte Hedi zu. „An irgendwas muss es liegen, dass bei dir immer nur die Hälfte sauber wird, Schatz.“
Hedi zählte stumm bis drei und biss in ihren Toast. Eigentlich war Klaus ein unkomplizierter Mann mit Hang zu häuslichem Chaos. Wenn es jedoch um weichgekochte Eier, perfekt eingeräumte Spülmaschinen oder das sachgerechte Zusammenfalten leerer Milchtüten ging, konnte er pedantisch werden.
„Mojn. Wo sind die Brötchen?“
Ungekämmt und mit offenen Schuhen schlurfte der sechzehnjährige Sascha ins Esszimmer. Er ließ sich auf einen der beiden noch freien Stühle fallen, schob seine langen Beine unter den Tisch und gähnte. Ein Blick in die Gesichter seiner Eltern sagte ihm, dass es heute besser wäre, sich mit Toastbrot zufriedenzugeben.
„Hast du deinem Vater die Mathearbeit gezeigt?“, fragte Hedi.
Klaus blätterte zum Sportteil. Sascha schüttelte den Kopf. Er fuhr durch sein verstrubbeltes Haar und griff nach dem Glas mit Nuss-Nougat-Creme. Nicht zum ersten Mal fiel Hedi auf, wie sehr sich Vater und Sohn in Gestik und Aussehen ähnelten. Leider öfter auch im Benehmen.
„Er hat eine Fünf geschrieben“, sagte sie.
„Mhm. Das muss besser werden, mein Sohn. So ein Mist! Die Kickers haben schon wieder verloren!“
Sascha grinste. Hedi stellte ihre Tasse scheppernd auf den Unterteller zurück. „Also, das ist ja ...!“
Klaus faltete die Zeitung zusammen und stand auf. „Ich muss los.“
Die vierzehnjährige Dominique tappte herein. Sie ging an Klaus vorbei und lümmelte sich auf den Stuhl neben ihrem Bruder. Sie sagte nicht guten Morgen, denn sie war der Meinung, dass an einem Morgen um diese Uhrzeit nichts Gutes sein konnte.
„Du wirst dir in dem Fetzen den Tod holen!“, sagte Hedi mit Blick auf das bauchnabelfreie T-Shirt ihrer Tochter.
„Besonders hübsch sieht es auch nicht aus“, bemerkte Klaus.
Lässig warf Dominique ihre kastanienbraune Mähne über die Schultern. „Paps, du hast keine Ahnung.“
„Zieh wenigstens eine gescheite Jacke drüber, ja?“, sagte Klaus.
Hedi stellte ihren und Klaus’ Frühstücksteller zusammen. Klaus küsste sie auf die Wange. „Tschüss, Schatz. Ich liebe dich auch mit Backstein im Magen.“
„Sehr witzig!“
Hedi brachte das Geschirr in die Küche. Sie hörte, wie die Wohnungstür ins Schloss fiel und schaute zur Uhr. Zwanzig vor sieben. Klaus war spät dran. Zum Glück lag seine Dienststelle, das Vierte Polizeirevier, nur zehn Gehminuten entfernt. Das war einer der Gründe gewesen, warum sie vor sechzehn Jahren in eine Wohnung mitten in der Stadt gezogen waren, die nicht einmal einen Balkon hatte. Hedi nahm das fertige Toastbrot aus dem Röster und ging ins Esszimmer zurück.
Dominique schraubte am Nuss-Nougat-Glas. „Scheiße! Leer. Mama, hast du zufällig ...?“
„Dir bleibt die Wahl zwischen Kirschkonfitüre und Johannisbeergelee.“
Angewidert betrachtete Dominique die beiden mit Cellophan verschlossenen handbeschrifteten Gläser neben dem Brotkorb. „Ich hab keinen Bock auf Juliettes Zuckerpampe.“
„Dann iss den Toast eben trocken!“ Hedi warf das Brot in den Korb und lief hinaus.
Dominique schüttelte den Kopf. „Hab ich zufällig irgendwas verpasst heute Morgen?“
„Du hättest dich etwas diplomatischer ausdrücken können“, nuschelte Sascha mit vollem Mund. „Du solltest langsam wissen, dass sie keinen Spaß versteht, wenn’s um Tante Juliette geht.“
„Ich auch nicht!“, erwiderte Dominique trotzig.
Tante
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