Das Gift des Boesen
einem fürchterlichen Gebiß, dessen Kiefer im Sprung weit auseinanderklafften.
Yag entwickelte eine Kaltblütigkeit, die ihn selbst verblüffte, und ein Geschick, das ihm nicht nur das Leben, sondern auch die ersehnte Trophäe rettete.
Ob Erfahrung oder Zufall letztlich ausschlaggebend waren, hätte er später selbst nicht zu sagen gewußt. Jedenfalls wich er im genau richtigen Moment einen Schritt zur Seite, ließ die Faust, die das Messer hielt, aber quasi »stehen« und sah regelrecht zu, wie die Klinge erst unterhalb der Kehle in den Unterleib der Raubkatze eindrang und ihn dann über die gesamte Länge aufschlitzte.
Das Gebrüll des Jaguars ließ das Blätterdach des Dschungels erbeben. Gedärm und sonstige Innereien platzten förmlich aus ihm heraus . und dann lag er zuckend neben Yag am Boden, der sein nun naßglänzendes Messer immer noch in der Faust umklammert hielt und nicht fassen konnte, was ihm gelungen war.
Kurz darauf war der vierbeinige König der Wildnis tot. Yag kniete neben ihm und dankte den Göttern, die ihm Beistand geleistet hatten. Ja, auch deinem Gott, Vater Enrico, auch ihm ...
Der Einbruch der Nacht störte ihn nicht. Yag ließ sich viel Zeit, um seine Trophäe von dem imposanten Körper zu schälen. Er machte ein regelrechtes Ritual daraus, entfachte ein Feuer, um das Nachtgetier fernzuhalten, das vom Aasgeruch angelockt wurde, und been-dete sein Werk erst im Morgengrauen. Zwischendurch verzehrte er Herz und Leber seiner Beute - beides roh. Es zu braten kam ihm nicht in den Sinn, und wenn doch, wäre es ihm wie ein Frevel erschienen.
Als er das wundervolle Fell schließlich zum grauen Himmel emporhob, fühlte er noch keinerlei Müdigkeit in sich. Im Gegenteil, er war hellwach und in einer Hochstimmung wie kaum jemals zuvor!
*
Mit den ersten Sonnenstrahlen kehrte Yag zum Flußlauf zurück, an dem sein Dorf lag. Schon von weitem sah er das einzige Haus aus Stein, das auf Vater Enricos Betreiben hin auf einer kleinen Anhöhe errichtet worden war. Auf dem dazugehörigen Turm war eine bronzene Glocke befestigt, die der Missionar jeden Morgen und jeden Abend zur selben Stunde läuten ließ.
Yag wunderte sich, daß er sie überhört hatte. Normalerweise hätte sie ihn um diese Zeit schon von weitem begrüßen müssen. Aber der leisen Sorge, die sich in seine Gedanken mischte, gelang es nicht, das Hochgefühl zu ersticken, das sich seiner bemächtigt hatte.
Noch nicht.
Aber dann machte er auf dem Pfad, den er mit seiner geschulterten Trophäe daherkam, einen grausigen Fund.
»Xao? - Xao ...?«
Das Fell, an dem noch der Kopf des Jaguars baumelte, glitt von seinen Schultern und fiel achtlos in den Staub. Yag hatte keinen Gedanken mehr dafür übrig, daß es so nah vor dem Ziel, so kurz bevor er es dem Häuptling zu Füßen legen konnte, noch schmutzig wurde. Mit ein paar hastigen Schritten überwand er die Distanz zu seinem gleichaltrigen Freund, den er erkannte, obwohl dieser mit Bauch und Gesicht auf dem Boden lag.
Xaos Anblick zerstörte schon von weitem jede Hoffnung, es könn-te noch Leben in ihm sein. Sein Rücken war eine einzige Landschaft aus zerklüftetem Fleisch. Ein Schwarm häßlich schillernder Fliegen löste sich summend davon, als Yag niederkniete und den Toten sanft - sanfter, als es dessen Zustand eigentlich erforderte - wendete.
Auch die Brust des Jugendfreundes war von schrecklichen Klauen zerfetzt, und in seinem Gesicht unterstrich ein Käfer, der gerade aus den blutverkrusteten, halboffen stehenden Lippen krabbelte, den Ausdruck ungläubigen Entsetzens, der sich schier unauslöschlich hineingeprägt hatte ...
»Xao ...«
Tränenerstickt hob Yag den Kopf und blickte zurück zu seiner Trophäe.
»Einer deiner Vettern war hier ...«, flüsterte er, kaum verständlich, »... und hat dich gerächt.« Dann schüttelte er den Kopf, weil ihm dämmerte, daß sein vermeintliches Jagdglück vielleicht nichts anderes als ein zynischer Schachzug der Waldgötter gewesen war, damit ihn der Verlust des Freundes nur um so härter treffen würde.
Hatte er sich die Götter zum Feind gemacht?
Wodurch? Durch sein zauderndes Zugeständnis etwa, auch Vater Enricos Gott einen Platz in seinem Denken einzuräumen .?
Die verrücktesten Einfälle geisterten durch Yags Hirn. Schließlich richtete er sich wieder auf und hob statt dem mitgebrachten Brautvatergeschenk die Überreste seines toten Freundes auf die Arme.
Wie leicht er war!
Yag versuchte, nicht an das viele Blut zu
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