Das Gift des Boesen
stockfinsterer Nacht wie an einem verhangenen Tag zu sehen und jedes Quentchen Restlicht zu verwerten ...
Nein, sie zögerte, weil sie plötzlich doch wieder zweifelte, ihn hier zu treffen.
Ihr Retter in einer Baumhöhle? Der Gedanke erschien ihr allzu abwegig. Aber letztlich hielt er sie nicht auf. Auch deshalb nicht, weil sie sich keineswegs mehr schwach und ausgeliefert fühlte wie noch in Mayab. Das Blut des Indios hatte ihr wohlgetan. Sie sehnte eine Konfrontation - mit wem auch immer - förmlich herbei.
Und so betrat sie den Baum.
Und fand, was der Knabe hier hinterlassen hatte, noch verpestet von seinem Gestank des Bösen.
DU hast das Dorf also ausgelöscht ... , dachte Lilith, während langsam in ihren Verstand sickerte, was ihre Augen im Innern der Höhle fanden. Die undurchdringliche Dunkelheit war nur ein Vorhang gewesen. Im Baum vermochte Lilith gewohnt mühelos jedes Detail zu erkennen. DU warst es - kein Jaguar ... Warum bin ich nicht eher darauf gekommen ...?
Vor ihr, zusammengekauert wie ein Embryo, lag, nein, hing Nona.
Nona! Landrus Gefährtin und Komplizin!
*
Sie hatte mitgeholfen bei dem Betrug, der Farce, mit der Lilith glauben gemacht werden sollte, die Mutter vampirischer Tyrannen zu sein!
Nicht, daß der Gedanke in ihrem jetzigen Zustand sie wirklich gequält hätte, aber sie war sich unsicher, was außer dem Wunsch nach Rache der Anblick der hilflos vor ihr schwebenden Werwölfin noch in ihr weckte.
Hilflos wirkte sie tatsächlich.
Ausgeliefert.
Magische Kräfte hatten den nackten Körper aus Fleisch und Blut mit der Baumsubstanz vermählt! Was wie Fäden aussah, an denen Nona aufgehängt war, erwies sich bei näherem Hinsehen als Pflanzenfasern, die in die Haut der Werwölfin mündeten und sich vielleicht um deren Knochen gewickelt hatten, um genügenden Halt zu finden. Erkennbar war dies nicht. Nona blutete nicht einmal. Sie präsentierte sich in der verletzlichen Embryohaltung, als würde sie tief und fest schlafen. Ihre Augen waren geschlossen, und die Pupillen darunter schienen sich flimmernd zu bewegen.
Sie träumt, dachte Lilith einigermaßen fassungslos. Sie hängt da und ... träumt!
Sie widerstand der Versuchung, hinzugehen und Nona kurzerhand zu töten.
Ihr Hiersein mußte einen Sinn haben!
Ob das Massaker, das sie im Dorf angerichtet hatte, auch einen hatte, darauf wollte sich Lilith nicht festlegen. Aber dieser Gestank, diese Spur, die sie hierher gelockt hatte ...
Sie entschied, es zu wagen.
So schnell, als hätte sie die Befürchtung, vielleicht doch davor zurückzuschrecken, wenn sie zu lange zögerte, trat sie ganz auf Nona zu, wechselte in die Metamorphose, die ihre Hände zu Klauen und ihr Gebiß zu einer furchtbaren Waffe formte .
... und zerfetzte kurzerhand die Fäden, die ihre Feindin hielten.
Der bittere Seufzer, der daraufhin durch die Höhlung des Baumes wehte, konnte ebensogut von Nona, wie auch von dem Urwaldriesen stammen.
Mit einem dumpfen Geräusch stürzte die Werwölfin zu Boden.
Und erwachte aus einem Traum, der Lohn und nicht etwa Strafe war .
* »Lilith Eden ...«
»Wen hast du erwartet?«
Nona konnte nicht verbergen, wieviel Kopfzerbrechen ihr Liliths Frage bereitete.
»Deinen Stecher?« für die Halbvampirin höhnisch fort.
»Rede nicht so von ihm!« Nonas Augen sprühten Funken. Doch das Gewitter darin zog rasch ab. Mit Abscheu betrachtete Nona die Reste der Fäden, die aus ihrem Körper ragten und sich wie Würmer wanden. Anfangs troff noch ein dunkler Saft aus den zerrissenen Enden, der jedoch bald versiegte.
»Hat er dir das angetan?« fragte Lilith.
Es fiel Nona schwer, den Blick von den Strängen zu lösen, die vor ihren Augen abstarben, zu rußigem Staub zerfielen und sich einfach abschütteln ließen.
»Er?«
»Das Wesen, das als Jüngling auftritt, ohne einer zu sein.«
»Du meinst Gabriel. Bist du ihm begegnet?«
»Sonst wäre ich nicht hier.« Lilith lächelte bitter. »Ihr hättet mich in Mayab krepieren lassen - du und Landru!«
Nona kniff die Lippen zusammen. »Du - wirkst verändert. Du hättest mich töten können. Warum hast du es nicht getan?«
»Das werde ich noch. Ich bin nicht in Eile.« Lilith drehte sich um und durchschritt den Vorhang aus Finsternis, durch den sie den Baum betreten hatte.
Das Sonnenlicht ließ sie kaum merklich zusammenzucken. Als sie hinter sich blickte, sah sie, wie auch Nona aus der magischen Schwärze trat.
Sie setzten sich beide auf einen von einem Sturm entwurzelten,
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