Das Glasperlenspiel
überlegend, »niemand wird an Eurem Erlebnis und an der Schönheit oder Heiterkeit des Alt-Magisters zweifeln, der einem so unglaublich zulächeln kann. Die Frage ist nur: wohin tun wir das Phänomen, wie benennen wir es, wie erklären wir es? Es klingt schulmeisterlich, aber wir Kastalier sind nun einmal Schulmeister, und wenn ich Euer und unser Erlebnis
einzuordnen und zu benennen wünsche, so wünsche ich das nicht, weil ich seine Wirklichkeit und Schönheit durch Abstraktion und Verallgemeinerung auflösen, sondern weil ich sie möglichst bestimmt und deutlich aufzeichnen und festhalten möchte. Wenn ich auf einer Reise irgendwo einen Bauern oder ein Kind eine Melodie summen höre, die ich nicht kannte, so ist mir das ebenfalls ein Erlebnis, und wenn ich dann diese Melodie sofort und so genau wie möglich in Noten aufzuschreiben versuche, so ist das kein Abtun und Weglegen, sondern eine Ehrung und Verewigung meines Erlebnisses.«
Knecht nickte ihm freundschaftlich zu. »Carlo«, sagte er, »es ist ein Jammer, daß wir uns so selten mehr sehen können. Nicht alle Jugendfreunde bewähren sich bei jedem Wiedersehen. Ich bin mit meiner Erzählung vom alten Magister zu dir gekommen, weil du hier am Ort der einzige bist, an dessen Mitwissen und Teilnahme mir gelegen ist. Ich muß es nun dir überlassen, was du mit meiner Erzählung anfangen und wie du den verklärten Zustand unsres Meisters benennen willst. Ich würde mich freuen, wenn du ihn einmal aufsuchen und eine kleine Weile in seiner Aura weilen wolltest. Sein Zustand von Gnade, Vollendung, Altersweisheit, Seligkeit, oder wie immer wir ihn
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nennen wollen, mag dem religiösen Leben angehören; wenn wir Kastalier auch keine Konfession und keine Kirche haben, so ist Frömmigkeit uns doch nichts Unbekanntes; gerade unser Alt-Musikmeister ist stets ein durch und durch frommer Mensch gewesen. Und da es Berichte von Begnadeten, Vollendeten, Strahlenden, Verklärten in vielen Religionen gibt, warum sollte nicht auch unsre kastalische Frömmigkeit einmal zu dieser Blüte kommen? -Es ist spät geworden, ich sollte schlafen gehen, morgen muß ich in aller Frühe reisen. Ich hoffe bald wiederzukommen. Laß mich dir nur noch ganz kurz meine Geschichte zu Ende erzählen! Also nachdem er zu mir gesagt hatte:›Du ermüdest dich‹, gelang es mir endlich, von meinen Bemühungen um die Einleitung eines Gespräches abzustehen und nicht nur still zu sein, sondern auch meinen Willen von dem falschen Ziel abzurufen, diesen Schweiger mit Hilfe von Wort und Unterredung erforschen und von ihm profitieren zu wollen.
Und vom Augenblick an, in dem ich verzichtete und alles dem ändern überließ, ging es wie von selbst. Du magst nachher meine Ausdrücke beliebig durch andre ersetzen, jetzt aber höre mich an, auch wenn ich ungenau scheine oder Kategorien verwechsle. Ich war etwa eine Stunde oder anderthalbe bei dem Alten, und ich kann dir nicht mitteilen, was zwischen ihm und mir vorgegangen oder ausgetauscht worden ist, Worte sind dabei nicht gesprochen worden.
Ich fühlte nur, nachdem mein Widerstand gebrochen war, daß er mich in seinen Frieden und seine Helligkeit mit aufnahm, es umschloß ihn und mich Heiterkeit und wunderbare Ruhe. Ohne daß ich mit Willen und Wissen meditiert hätte, glich es einigermaßen einer besonders geglückten und beglückenden Meditation, deren Thema das Leben des Alt-Magisters gewesen wäre. Ich sah ihn oder fühlte ihn und den Gang seines Werdens von damals an, wo er mir, einem Knaben, zum erstenmal begegnete, bis zur jetzigen Stunde. Es war ein Leben der Hingabe und Arbeit, aber frei von Zwang, frei von Ehrgeiz und
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voll von Musik. Und es entwickelte sich so, als habe er, indem er Musiker und Musikmeister wurde, die Musik als einen der Wege zum höchsten Ziel des Menschen, zur innern Freiheit, zur Reinheit, zur Vollkommenheit erwählt, und als habe er seitdem nichts anderes getan, als sich von der Musik immer mehr durchdringen, verwandeln, läutern zu lassen, von den gewandten, klugen Cembalistenhänden und dem reichen
riesigen Musikergedächtnis bis in alle Teile und Organe des Leibes und der Seele, bis in die Pulse und Atemzüge, bis in den Schlaf und Traum, und sei jetzt nur noch ein Symbol, vielmehr eine Erscheinungsform, eine Personifikation der Musik.
Wenigstens habe ich das, was von ihm ausstrahlte oder was zwischen ihm und mir wie rhythmisches Atmen hin und her wogte, durchaus als Musik empfunden, als eine völlig unmateriell
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