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Das Glasperlenspiel

Das Glasperlenspiel

Titel: Das Glasperlenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Berufssängern um 1600 oder die sonntäglichen
    Figuralmusiken in den Kirchen um 1700.
    Damals sind von Menschenohren Klänge gehört worden, die keine Wissenschaft und kein Zauber in ihrer engelhaft strahlenden Reinheit zurückbeschwören können. Und so wird auch das Glasperlenspiel nicht vergessen werden, aber unwiederbringlich sein, und die, welche alsdann seine Geschichte, sein Entstehen, seine Blüte und sein Ende studieren, werden seufzen und uns darum beneiden, daß wir in einer so friedlichen, so gepflegten, so reingestimmten geistigen Welt haben leben dürfen.
    Obwohl ich nun Magister Lud i bin, halte ich es keineswegs für meine (oder unsre) Aufgabe, das Ende unsres Spieles zu verhindern oder hinauszuschieben. Auch das Schöne und Schönste ist vergänglich, sobald es Geschichte und Erscheinung auf Erden geworden ist. Wir wissen es und können darüber Wehmut empfinden, aber nicht im Ernst es zu andern versuchen; denn es ist unabänderlich.
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    Wenn das Glasperlenspiel zu Fall kommt, wird Kastalien und wird die Welt einen Verlust erleiden, aber sie wird ihn im Augenblick kaum empfinden, so sehr wird sie in der großen Krise damit beschäftigt sein, das zu retten, was noch zu retten ist. Es ist ein Kastalien ohne Glasperlenspiel denkbar, aber nicht ein Kastalien ohne Ehrfurcht vor der Wahrheit, ohne Treue gegen den Geist. Eine Erziehungsbehörde kann ohne Magister Ludi auskommen.
    Aber dieses »Magister Ludi« bedeutet ja, was wir beinah vergessen haben, ursprünglich und wesentlich nicht die Spezialität, die wir mit dem Wort bezeichnen. Magister Ludi bedeutet ursprünglich ganz einfach Schulmeister.
    Und der Schulmeister, der guten und tapferen Schulmeister, wird unser Land desto mehr bedürfen, je gefährdeter Kastalien ist und je mehr von seinen Kostbarkeiten überständig werden und abbröckeln. Lehrer brauchen wir nötiger als alles andre, Männer, die der Jugend die Fähigkeit des Messens und Urteilens beibringen und ihr Vorbilder sind in der Ehrfurcht vor der Wahrheit, im Gehorsam gegen den Geist, im Dienst am Wort.
    Und das gilt nicht allein und nicht zuerst für unsre Eliteschulen, ziehen. Mit Freude und Anerkennung haben wir alle die Gesinnung erkannt, welche Euch beseelt, die Gesinnung eines echten und selbstlosen Kastaliertums, einer innigen und zur zweiten Natur gewordenen Liebe zu unsrer Provinz und deren Leben und Sitten, einer besorgten und zur Zeit etwas beängstigten Liebe. Mit Freude und Anerkennung nicht minder lernten wir die persönliche und momentane Note und Stimmung dieser Liebe kennen, ihre Opferbereitschaft, ihren
    Tätigkeitsdrang, ihren Ernst und Eifer und ihren Zug zum Heldischen. In allen diesen Züge n erkennen wir den Charakter unsres Glasperlenspielmeisters wieder, seine Tatkraft, sein Feuer, seinen Wagemut. Wie sehr paßt es doch zu ihm, dem Schüler des berühmten Benediktiners, daß er die Historie nicht zu rein gelehrtem Endzweck und gewissermaßen in
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    ästhetischem Spiel als affektlosen Betrachter studieren mag, sondern daß seine Geschichtskenntnis unmittelbar zur Anwendung auf den Augenblick, zur Tat, zur Hilfsbereitschaft drängt! Und wie sehr auch, verehrter Kollege, entspricht es diesem Eurem Charakter, daß das Ziel Eurer persönlichen Wünsche ein so bescheidenes ist, daß Ihr Euch nicht zu politischen Aufgaben und Missionen, zu einflußreichen und ehrenvollen Posten hingezogen fühlet, sondern nichts andres zu sein begehret als ein Ludi Magister, ein Schulmeister!
    Dies sind einige der Eindrücke und Gedanken, welche schon beim ersten Lesen Eures Rundschreibens sich ungesucht einstellten. Sie sind bei den meisten Kollegen dieselben oder doch ähnliche gewesen. In der weiteren Beurteilung Eurer Mitteilungen, Mahnungen und Bitten hingegen vermochte die Behörde zu einer so einmütigen Stellungnahme nicht zu gelangen. In der darüber abgehaltenen Sitzung wurde

namentlich die Frage, wieweit Eure Ansicht von der Bedrohtheit unsrer Existenz annehmbar sei, sowie die Frage nach der Art, dem Umfang und der etwaigen zeitlichen Nähe der Gefahren lebhaft besprochen, und der größere Teil der Mitglieder hat diese Fragen sichtlich ernst genommen und sich für sie erwärmt.
    Doch hat sich, wie wir Euch mitteilen müssen, in keiner dieser Fragen eine Mehrheit der Stimmen zugunsten Eurer Auffassung ergeben. Anerkannt wurden lediglich die
    Vorstellungskraft und der Weitblick Eurer historischpolitischen Betrachtungen, im einzelnen aber wurde keine

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