Das Glasperlenspiel
erlaubt.
Den Anspruch Platons, daß der Gelehrte, vielmehr der Weise, im Staate zu herrschen habe, möchte ich nicht vertreten.
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Die Welt war damals jünger. Und Platon, obwohl der Stifter einer Art von Kastalien, ist keineswegs ein Kastalier gewesen, sondern ein geborener Aristokrat, von königlicher Herkunft.
Auch wir sind zwar Aristokraten und bilden einen Adel, doch ist es einer des Geistes, nicht des Blutes. Ich glaube nicht daran, daß es den Menschen jemals gelingen werde, einen Blutadel zugleich mit dem geistigen Adel zu züchten, er wäre die ideale Aristokratie, sie bleibt aber ein Traum. Wir Kastalier sind, obwohl gesittete und ganz kluge Leute, zum Herrschen nicht geeignet; wir würden, wenn wir regieren müßten, es nicht mit der Kraft und Naivität tun, deren der echte Regent bedarf, auch würde dabei unser eigentliches Feld und unsre eigenste Sorge, die Pflege eines vorbildlichen geistigen Lebens, schnell vernachlässigt werden. Zum Herrschen braucht man keineswegs dumm und brutal zu sein, wie eitle Intellektuelle zuweilen meinten, wohl aber bedarf es zum Herrschen einer
ungebrochenen Freude an einer nach außen gewendeten
Aktivität, einer Leidenschaft des sich Identifizierens mit Zielen und Zwecken, und gewiß auch einer gewissen Raschheit und Unbedenklichkeit in der Wahl der Wege zum Erfolg. Lauter Eigenschaften also, welche ein Gelehrter - denn Weise wollen wir uns nicht nennen - nicht haben darf und nicht hat, denn für uns ist Betrachtung wichtiger als Tat, und in der Wahl der Mittel und Methoden, um zu unsern Zielen zu gelangen, haben wir ja gelernt, so skrupulös und mißtrauisch wie nur möglich zu sein.
Also wir haben nicht zu regieren und haben nicht Politik zu machen. Wir sind Fachleute des Untersuchens, Zerlegens und Messens, wir sind die Erhalter und beständigen Nachprüfer aller Alphabete, Einmaleinse und Methoden, wir sind die Eichmeister der geistigen Maße und Gewichte. Gewiß sind wir auch noch vieles andre, können unter Umständen auch Neuerer, Entdecker, Abenteurer, Eroberer und Umdeuter sein, unsre erste und wichtigste Funktion aber, derentwegen das Volk unser bedarf und uns erhält, ist jene Sauberhaltung aller Wissensquellen. Es
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kann im Handel, in der Politik und wo immer vielleicht gelegentlich eine Leistung und Genialität bedeuten, aus einem U
ein X zu machen, bei uns aber niemals.
In früheren Epochen verlangte man bei aufgeregten,
sogenannten »großen« Zeiten, bei Krieg und Umsturz,
gelegentlich von den Intellektuellen, sie sollten sich politisieren.
Namentlich im spätfeuilletonistischen Zeitalter war dies der Fall. Zu seinen Forderungen gehörte auch die nach der Politisierung oder Militarisierung des Geistes.
So wie die Kirchenglocken zum Guß von Kanonehrohren, wie die noch unreife Schuljugend zum Nachfüllen der dezimierten Truppen, so sollte der Geist als Kriegsmittel beschlagnahmt und verbraucht werden.
Natürlich können wir diese Forderung nicht anerkennen.
Daß ein Gelehrter im Notfall vom Katheder oder Studiertisch weggeholt und zum Soldaten gemacht werde, auch daß er unter Umständen sich freiwillig dazu melde, daß ferner in einem vom Kriege ausgesogenen Lande der Gelehrte sich in allem Materiellen bis zum Äußersten und bis zum Hunger zu
bescheiden habe, darüber ist kein Wort zu verlieren. Je höher die Bildung eines Menschen, je größer die Privilegien, die er genoß, desto größer sollen im Fall der Not die Opfer sein, die er bringt; wir hoffen, dies werde einst jedem Kastalier selbstverständlich sein.
Wenn wir aber bereit sind, unser Wohlsein, unsre
Bequemlichkeit, unser Leben dem Volk zu opfern, wenn es in Gefahr ist, so schließt das nicht mit ein, daß wir den Geist selbst, die Tradition und Moral unsrer Geistigkeit, den Interessen des Tages, des Volkes oder der Generäle zu opfe rn bereit wären. Ein Feigling, wer sich den Leistungen, Opfern und Gefahren entzieht, die sein Volk zu bestehen hat. Aber ein Feigling und Verräter nicht minder, wer die Prinzipien des geistigen Lebens an materielle Interessen verrät, wer also z. B. die Entscheidung
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darüber, was zweimal zwei sei, den Machthabern zu überlassen bereit ist! Den Sinn für die Wahrheit, die intellektuelle Redlichkeit, die Treue gegen die Gesetze und Methoden des Geistes irgendeinem andern Interesse opfern, auch dem des Vaterlands, ist Verrat. Wenn im Kampf der Interessen und Schlagworte die Wahrheit in Gefahr kommt, ebenso entwertet, entstellt und
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