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Das Glasperlenspiel

Das Glasperlenspiel

Titel: Das Glasperlenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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als
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    einer von ihnen mir heute zufällig einfiel, wußte ich nicht mehr, woher ich ihn kenne und daß er von mir sei. Wie kommen sie dir heute vor? Sagen sie dir noch etwas?«
    Tegularius besann sich.
    »Mir ist es gerade mit diesem Gedicht immer eigentümlich gegangen«, sagte er dann. »Das Gedicht gehört zu den wenigen von Euch, die ich eigentlich nicht mochte, an denen irgend etwas mich abstieß oder störte. Was es sei, wußte ich damals nicht. Heute glaube ich es zu sehen.
    Euer Gedicht, Verehrter, das Ihr mit dem
    Marschbefehl›Transzendieren! ‹überschrieben und dessen Titel Ihr später, Gott sei Dank, durch einen sehr viel besseren ersetzt habet, hat mir nie so recht gefallen, weil es etwas Befehlendes, etwas Moralisierendes oder Schulmeisterliches hat. Könnte man ihm dieses Element nehmen oder vielmehr diese Tünche abwaschen, so wäre es eines Eurer schönsten Gedichte, das habe ich soeben wieder bemerkt.
    Sein eigentlicher Inhalt ist mit dem Titel›Stufen‹nicht schlecht angedeutet; Ihr hättet aber ebensogut und noch
    besser›Musik ‹oder›Wesen der Musik‹darüber schreiben können.
    Denn nach Abzug jener moralisierenden oder predigenden Haltung ist es recht eigent lich eine Betrachtung über das Wesen der Musik, oder meinetwegen ein Lobgesang auf die Musik, auf ihre stete Gegenwärtigkeit, auf ihre Heiterkeit und
    Entschlossenheit, auf ihre Beweglichkeit und rastlose Entschlossenheit und Bereitschaft zum Weitereilen, zum Verlassen des eben erst betretenen Raumes oder
    Raumabschnittes. Wäre es bei dieser Betrachtung oder diesem Lobgesang über den Geist der Musik geblieben, hättet Ihr nicht, offenbar schon damals von einem Erzieherehrgeiz beherrscht, eine Mahnung und Predigt daraus gemacht, so könnte das Gedicht ein vollkommenes Kleinod sein. So wie es vorliegt, scheint es mir nicht nur zu lehrhaft, zu lehrerhaft, sondern es scheint mir auch an einem Denkfehler zu kranken. Es setzt,
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    lediglich der moralischen Wirkung wegen, Musik und Leben einander gleich, was mindestens sehr fragwürdig und bestreitbar ist, es macht aus dem natürlichen und moralfreien Motor, der die Triebfeder der Musik ist, ein›Leben‹, das uns durch Zurufe, Befehle und gute Lehren erziehen und entwickeln will. Kurz, es wird in diesem Gedicht eine Vision, etwas Einmaliges, Schönes und Großartiges zu Lehrzwecken verfälscht und ausgenutzt, und dies ist es, was mich schon immer dagegen eingenommen hat.«
    Mit Vergnügen hatte der Magister zugehört und den Freund sich in eine gewisse zornige Wärme hineinreden sehen, die er an ihm gern hatte.
    »Möchtest du recht haben!« sagte er halb scherzhaft.
    »Du hast es jedenfalls mit dem, was du über die Be- ziehung des Gedichtes zur Musik sagst. Das durchschreiten der Räume ‹und der Grundgedanke meiner Verse kommt, ohne daß ich es wußte oder beachtete, in der Tat von der Musik her. Ob ich den Gedanken verdorben und die Vision verfälscht habe, weiß ich nicht; vielleicht hast du recht. Als ich die Verse machte, handelten sie ja schon nicht mehr von der Musik, sondern von einem Erlebnis, dem Erlebnis nämlich, daß das schöne musikalische Gleichnis mir seine moralische Seite gezeigt hatte und zur Weckung und Mahnung, zum Lebensruf in mir geworden war. Die imperative Form des Gedichtes, die dir besonders mißfällt, ist nicht Ausdruck eines Befehlen- und Belehrenwollens, denn der Befehl, die Mahnung ist nur an mich selbst gerichtet. Das hättest du, auch wenn du es nicht ohnehin recht wohl wüßtest, aus der letzten Verszeile sehen können, mein Bester. Also ich habe eine Einsicht, eine Erkenntnis, ein inneres Gesicht erlebt und möchte den Gehalt und die Moral dieser Einsicht mir selber zurufen und einhämmern. Darum ist das Gedicht mir auch, obwohl ich es nicht wußte, im Gedächtnis geblieben.
    Mögen diese Verse nun gut oder schlecht sein, ihren Zweck haben sie also erreicht, die Mahnung hat in mir fortgelebt und ist
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    nicht vergessen worden. Heute klingt sie mir wieder wie neu; das ist ein schönes kleines Erlebnis, dein Spott kann es mir nicht verderben. Aber es ist Zeit aufzubrechen.
    Wie schön waren jene Zeiten, Kamerad, wo wir, beide
    Studenten, es uns des öftern erlauben durften, die Hausordnung zu umgehen und bis tief in die Nächte hinein im Gespräch beisammenzubleiben. Als Magister darf man das nicht mehr, schade!«
    »Ach«, meinte Tegularius, »man dürfte schon, man hat nur die Courage nicht.«
    Knecht legte ihm lachend die Hand

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