Das Glück wartet in Virgin River
daran, die Ställe auszumisten. Als er damit fertig war, ging er zurück, um nach der Stute zu schauen. Er hätte nicht überrascht sein sollen, dass das Hopi-Mädchen im Morgengrauen am Zaun lehnte und die Stute beobachtete. Er stelltedie Harke weg und stützte sich neben ihr auf die Zaunlatte. „Sie wurde Blue Rhapsody genannt.“
„Blue“, hauchte sie und hielt den Blick auf das Pferd gerichtet. „Perfekt.“ Dann wandte sie sich ihm zu. „Und, wird sie durchkommen?“
„Wenn es nichts Chronisches ist, aber dafür gibt es bislang keine Anzeichen“, sagte er achselzuckend. „Ich habe das Gefühl, dass Sie recht haben könnten. Wahrscheinlich haben die Besitzer das Futter ausgeteilt, weil sie ihr damit eine bessere Überlebenschance zu verschaffen glaubten und hofften, dass jemand sie findet. Und damit haben sie mehr Schaden angerichtet, als ihr genützt.“
„Was wird jetzt aus ihr?“
„Wenn sich herausstellt, dass sie gesund und kräftig ist, wovon ich inzwischen ausgehe, werden wir ein paar Anrufe tätigen und schauen, ob wir sie irgendwo unterbringen können. Tatsächlich ist sie ein recht wertvolles Pferd. Sie hätten sie nicht zurücklassen sollen. Eine schwarze Araberstute mit dieser Zeichnung und einem sanften Naturell, die noch dazu schon ein paarmal gefohlt hat… sie könnte eine gute Zuchtstute sein. Mit zwölf ist sie noch nicht zu alt…“
„Ich kann mir nicht vorstellen, warum sie nicht versucht haben, wenigstens ein paar Hundert Dollar für sie zu bekommen“, sagte Lilly.
„Vielleicht haben sie es ja versucht, oder vielleicht sind sie auch auf andere Weise irgendwie an das Pferd gekommen. Sie könnten es übernommen haben, um jemandem zu helfen. Vielleicht war Blue auch ein Geschenk für die Kinder oder so, und ihnen war gar nicht bewusst, wie viel sie eventuell wert sein könnte. Das waren keine Pferdemenschen. Sie hatten nur Blue.“
„Blue“, wiederholte sie. „Das passt zu ihr.“
„Sie ist zwölf Jahre alt, und trotzdem hat Nathaniel der Farm nur einmal vor einem Jahr einen Besuch abgestattet. Er kannte sie nicht. Das heißt, dass sie nicht aus der Umgebung stammt. Sie hat eine Geschichte, von der wir nichts wissen.“
Schweigend standen sie dort und beobachteten die Stute imPaddock. Sie wirkte friedlich und entspannt. „Ich sollte mal mit Nathaniel reden“, sagte Lilly.
„Aha?“
„Meinen Sie, er wird Blue verkaufen wollen?“
Clay runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Sie gehört ihm nicht, Lilly.“
„Ich frage mich, ob er bereit wäre, ein paar Tage abzuwarten, damit ich mich einmal umhören kann, ob ich nicht jemanden finde, der verantwortungsbewusst ist und sie gern nehmen würde…“
„Aha“, wiederholte Clay.
„Ich habe Freunde. Mein Grandpa hat Kunden. Manchmal nutzen die Leute sein Schwarzes Brett, wenn sie ein Tier verkaufen wollen, deshalb … Ich würde mich sehr viel besser fühlen, wenn ich wüsste, dass sie ein gutes Zuhause gefunden hat. Wo man sie zu schätzen weiß. Sie ist so ein hübsches Pferd. Haben Sie eigentlich auch das Gefühl, dass sie zwar grundsätzlich sehr lieb ist, aber auch einen ganz schön durchtriebenen Sinn für Humor haben kann?“
Richtig, die Botschaft war auch bei ihm angekommen, aber da er solche Botschaften ständig empfing, neigte er dazu, es als gegeben hinzunehmen. Lillys blaue Augen glitzerten erwartungsvoll, deshalb sagte er nur: „Ihre paar Tage haben Sie, Lilly. Rufen Sie Ihre Freunde und Kunden an. Ich werde derweil bei Nathaniel ein gutes Wort einlegen. Er wird nicht schwer zu überzeugen sein.“
„Glauben Sie?“
„Er mag es, wenn sich alles zum Guten wendet.“
Clay hatte das Bedürfnis, ihr einen Finger unters Kinn zu legen und lange in diese dunkelblauen Augen zu schauen. Vielleicht sollte er ihr etwas flüstern; vielleicht sogar… „Ich sollte mich lieber wieder an die Arbeit machen, Lilly. Bleiben Sie nur, solange Sie Lust haben. Ich bin im Stall, falls Sie etwas brauchen.“
Für Clay würde es mehr als ein Fulltime-Job sein, sich in Nathaniels Praxis einzuarbeiten, und da sie momentan noch keinenStallburschen hatten, wurde die tägliche Stallarbeit von Clay, Nathaniel und Annie gemeinsam erledigt. Clays eigentliche Aufgabe bestand darin, in der Praxis zu assistieren und den Stall zu managen, deshalb sollte er so schnell wie möglich ein bis zwei Helfer anheuern; einen in Vollzeit, einen vorläufig nur stundenweise.
Die angespannte Wirtschaftslage bot einen guten
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