Das Gluecksarmband
Erinnerungen bei mir trage, und die meisten davon sind freudig und bedeutungsvoll. Wenn man das Leben so betrachtet, fällt es schwer, traurig zu sein, oder?»
Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen traten. «Erinnern Ihre Anhänger nur an die glücklichen Zeiten?», fragte ich die junge Frau.
Nachdem sie einen Moment überlegt hatte, schaute sie auf ihr Armband. Sie spielte mit einigen Anhängern und entschied sich für ein Paar winzigkleiner Würfel, die sie um den Zeigefinger drehte. Dann wandte sie den Blick wieder mir zu. «Nein, es sind nicht nur glückliche Erinnerungen, aber auch die schlimmen Ereignisse im Leben können uns etwas lehren. Schließlich hat alles im Leben seine guten und seine schlechten Seiten. Letztlich zählt wohl das, was wir davon mitnehmen. Wir wüssten die glücklichen Zeiten nicht so zu schätzen, wenn wir nicht manchmal traurige Erlebnisse hätten. Das ist jedenfalls meine Meinung.» Ein wenig verlegen sah sie mich an. «Was denken Sie?»
«Sie sprechen mir aus der Seele.»
«Haben Sie selbst denn an Ihrem Armband nur Andenken an glückliche Zeiten?»
Ich schüttelte den Kopf und dachte an einen meiner neuesten Anhänger, die Brustkrebs-Schleife. Sie erinnerte mich nicht an ein glückliches Erlebnis, sondern an eine Lernerfahrung. «Nein», räumte ich ein. «Aber das alles hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.»
Molly lächelte mich an. «Geht mir genauso. Mein Sohn sagt immer im Spaß, dass man an diesem Armband meine ganze Lebensgeschichte ablesen kann. Er wird demnächst zehn.»
«Sie haben einen Sohn? Wie schön. Ich habe auch einen Sohn. Hört sich an, als sei er ein toller Junge.»
«Ja, das ist er auch.» Sie schwieg einen Augenblick und sprach die nächsten Worte dann beinahe im Flüsterton. «Ich wünschte bloß, sein Vater würde das auch erkennen.»
«Sie sind nicht mehr mit seinem Vater zusammen?»
Die junge Frau sah mich an, als hätte sie vergessen, dass ich eine Kundin war. «Nein, wir haben uns schon vor Dannys Geburt getrennt. Manchmal ist es schwer, aber ich tue mein Bestes. Wenigstens hoffe ich, dass es mein Bestes ist.»
«Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Sie nicht Ihr Bestes geben.»
Sie grinste. «Da sollten Sie meine Chefin mal hören. Sie denkt, ich wäre ein bisschen verrückt. Vor allem, wenn ich ihr die Geschichten erzähle, die mir zu unseren Kleidungsstücken hier einfallen.»
Ich lächelte, als mir bewusst wurde, wie sehr ich diese junge Frau mochte und wie sehr sie mich an mich selbst in jüngeren Jahren erinnerte. Fröhlich und optimistisch, und so offen und begeistert und voller Lebensfreude. Ich tue mein Bestes, um auch weiterhin den Kopf nicht hängen zu lassen, aber manchmal ist es schwer. Trotzdem, ich muss daran glauben, dass ich wieder gesund werde. Ich weigere mich, nicht daran zu glauben. Es ist die einzige Möglichkeit, wie ich diese Krankheit durchstehen kann.
«Es ist manchmal merkwürdig, wie Dinge sich entwickeln, oder?», sagte ich.
Molly sah mich fragend an. Wahrscheinlich überlegte sie, ob sie es mit einer Verrückten zu tun hatte. Aber ich versuchte nur, etwas ganz Bestimmtes auszudrücken.
«Was meinen Sie damit?», fragte sie.
«Ich meine, dass etwas ganz Simples eine große Wirkung haben kann – zum Beispiel, ob man ein Geschäft wie dies hier betritt oder einfach daran vorbeigeht. Wenn ich mich heute nicht entschlossen hätte, hier hereinzukommen, hätte ich Sie nicht kennengelernt, und dann hätte ich nicht erfahren, wie weise Sie sind. Solche kleinen Dinge meine ich.»
Molly lächelte. «Ja, das stimmt. Und es ist vielleicht keine große Sache, aber ich glaube, jeder kleine Moment bringt uns auf unserem Weg ein Stückchen weiter – näher dorthin, wo wir sein sollen. Aber die Welt ist groß, und man verliert leicht den Überblick. Doch wir kriegen immer wieder mal einen Schubs in die richtige Richtung.»
Ihre Worte berührten etwas in mir. Vor allem das mit dem Schubs in die richtige Richtung gab mir zu denken.
Molly griff nach einem Hemd und begann, es zusammenzulegen. Während ich ihr zuschaute, kam mir eine Idee.
«Danke für das schöne Gespräch, Molly», sagte ich, während ich mich zum Gehen wandte. Meine Idee hatte mich richtig gepackt. Ja, es war wirklich einen Versuch wert. Er barg zwar viele Risiken, aber das hatte mich noch nie von etwas abgehalten. Und genauso wie Molly glaube ich seit jeher fest daran, dass das Leben auf seine eigene Weise Lösungen findet. «Ich
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