Das Gottesgrab
Gedanken woanders.» Er stellte sich hinter Roland und passte auf, dass der behäbige Deutsche nicht hinfiel, während er sich in den Anzug zwängte. Denn das würde nicht gut ankommen. Roland war ein Banker aus Stuttgart, der in Hassans neuestes Unternehmen auf dem Sinai investieren wollte. Diese Tour war größtenteils zu seinen Ehren veranstaltet worden, und er hatte nichts ausgelassen und ging jedem auf die Nerven. So betrunken und zugekokst wie er war, hätte man ihn eigentlich nicht einmal in die Nähe des Wassers lassen dürfen. Aber Hassan hatte genug gezahlt, um die Regeln auszudehnen. Und nicht nur die Regeln. Roland in seinen Tauchanzug zu kriegen war, als wollte man ein Federbett beziehen. Ständig quoll irgendwo etwas hervor. Roland fand das unglaublich komisch. Er fand alles komisch und hielt sich zweifellos für den Mittelpunkt der Welt. Als er endlich im Tauchanzug steckte und unbeholfen an Deck taumelte, stolperte er über seine eigenen Füße und lachte hysterisch. Dann schaute er zu den anderen Gästen hinüber, als erwartete er tosenden Beifall.
Knox half ihm mit einem gequälten Lächeln auf und kniete sich dann hin, um ihm die Schuhe anzuziehen. Roland hatte aufgedunsene, gelbliche Füße, die zwischen den Zehen so dreckig waren, als hätte er sie seit Jahren nicht gewaschen. Knox lenkte sich damit ab, dass er wieder an den Nachmittag dachte, als er mit Rick über Alexanders Katafalk phantasiert hatte. Die anfängliche Begeisterung des hühnenhaften Australiers hatte sich bald gelegt. «Und diese Prozession kam über den Sinai, oder?», hatte er gefragt.
«Nein», sagte Knox. «Keine Quelle berichtet davon.»
«Ach, Scheiße», entgegnete Rick, lehnte sich zurück und schüttelte enttäuscht den Kopf. «Sie hatten mir solche Hoffnung gemacht.»
«Soll ich erzählen, was man weiß?»
«Klar», sagte er immer noch schmollend. «Warum nicht?»
«Okay», sagte Knox. «Zuerst muss man verstehen, dass unsere Quellen wenig verlässlich sind. Es gibt keine Augenzeugenberichte über Alexanders Leben oder seine Feldzüge. Alles, was wir wissen, haben wir von Historikern, die frühere Historiker zitieren. Also Berichte aus zweiter, dritter oder vierter Hand.»
«Stille Post», meinte Rick.
«Genau. Aber die Sache ist noch komplizierter. Nachdem Alexanders Reich auseinandergebrochen war, wollte sich jeder der möglichen Nachfolger im besten Licht darstellen und die anderen verunglimpfen, es wurde also eine Menge Propaganda geschrieben. Dann kamen die Römer. Die Cäsaren verehrten Alexander. Die Republikaner verachteten ihn. Die Historiker schrieben nur das, was ihnen in den Kram passte, je nachdem, welchem Lager sie angehörten. So oder so, der größte Teil der Geschichtsschreibung ist mit Vorsicht zu genießen. Die Wahrheit herauszufiltern ist kaum möglich.»
«Kapiert.»
«Aber man ist sich ziemlich sicher, dass der Katafalk von Babylon entlang des Euphrats nach Opis gebracht wurde, dann weiter nordwestlich entlang des Tigris. Eine großartige Prozession, wie man sich vorstellen kann. Nur um sie zu bestaunen, kamen die Menschen von weit her. Irgendwann im Jahre 322 oder 321 vor Christus erreichte die Prozession Syrien. Wie es danach weiterging, ist schwer zu sagen. Denken Sie daran, dass wir hier von zwei Dingen sprechen: zum einen von Alexanders Leiche, die einbalsamiert im Sarg lag. Zum anderen vom Leichenwagen und vom Goldschatz. Okay?»
«Ja.»
«Was mit Alexanders Leiche und dem Sarg passiert ist, weiß man ziemlich genau. Ptolemäus entführte sie und brachte sie nach Memphis, wahrscheinlich mit Hilfe des Eskortenführers. Aber wir wissen nicht, was mit dem Rest des Katafalks geschehen ist. Diodorus sagt, dass Alexanders Leiche schließlich in dem Leichenwagen nach Alexandria gebracht worden ist, aber seine Geschichte ist widersprüchlich, und er spricht offenbar vom Sarg, nicht vom Katafalk. Die einleuchtendste Schilderung stammt von einem gewissen Aelian. Er meint, Ptolemäus hätte so große Angst davor gehabt, dass Perdikkas Alexanders Leiche wieder zurückerobern wollte, dass er eine ähnliche Leiche in königliche Roben und ein Leichentuch kleiden und sie in eine Kutsche aus Silber, Gold und Elfenbein legen ließ. Perdikkas soll diesem Köder hinterhergejagt sein, während Ptolemäus Alexanders Leiche auf einer anderen Route nach Ägypten brachte.»
Rick sah ihn skeptisch an. «Sie meinen, Ptolemäus hat den Katafalk zurückgelassen?»
«Das behauptet zumindest Aelian», sagte
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