Das Gottesgrab
von seinem Besuch im Leichenschauhaus, wo er kurz zuvor seine Eltern hatte identifizieren müssen. Als er dann Bee angeschlossen an zahllose Schläuche und Geräte gesehen hatte, war es ein Schock gewesen. Er hatte sich fehl am Platze gefühlt, so als würde er einen Film und nicht die Wirklichkeit betrachten. Ihr Kopf war entsetzlich geschwollen gewesen, ihre Haut blass und blau. Er konnte noch jetzt diese wachsige Blässe und diese unnatürliche Schwammigkeit vor sich sehen. Nie zuvor hatte er bemerkt, wie viele Sommersprossen sie um die Augen und in der Beuge des Ellbogens hatte. Er hatte nicht gewusst, was er tun sollte, und sich nach der Ärztin umgeschaut, die auf einen Stuhl neben seiner Schwester gedeutet hatte. Verlegen hatte er Bees Hand genommen; in seiner Familie waren sie immer eher distanziert miteinander umgegangen. Er hatte ihre kalte Hand gedrückt und eine heftige, erschreckende Angst verspürt, ein beinahe elterliches Gefühl. Er hatte ihre Finger gedrückt, sie an seine Lippen gehalten und daran denken müssen, wie er seinen Freunden gegenüber immer Witze darüber gemacht hatte, welche Strafe eine kleine Schwester war, auf die man aufpassen musste. Das musste er nun nicht mehr.
Er tippte Roland an den Arm und zeigte nach oben. Gemeinsam tauchten sie auf. Das Boot war gut sechzig Meter entfernt. An Deck war niemand mehr zu sehen. Eine tiefe Unruhe hatte ihn erfasst. Er spuckte den Atemregler aus. «Bleiben Sie hier», warnte er Roland. Dann schwamm er mit kräftigen Zügen durch das kristallklare Wasser.
III
Mohammed El Dahab hielt den Aktenkoffer schützend vor seine Brust, als ihn die Frau in das Büro von Ibrahim Beyumi führte, dem Leiter der staatlichen Antiquitätenbehörde in Alexandria. Sie klopfte einmal an die Tür, schob sie dann auf und winkte ihn durch. Hinter einem Schreibtisch aus Kiefernholz schaute ein eleganter, leicht feminin wirkender Mann von seiner Arbeit auf.
«Ja, Maha?», fragte er.
«Dies ist Mohammed El Dahab, Chef. Ein Bauleiter. Er sagt, er hätte auf seiner Baustelle etwas gefunden.»
«Was denn?»
«Vielleicht sagt er Ihnen das lieber selbst», erwiderte sie.
«Na schön», seufzte Ibrahim und deutete auf den Ecktisch. Mohammed schaute sich um. Mit dem geübten Blick eines Bauleiters musterte er die abgesplitterte Holzvertäfelung an den Wänden, die von Rissen durchzogene hohe Decke, den abbröckelnden Putz und die stockfleckigen Gemälde von Alexandrias Monumenten. Wenn dies das Büro des obersten Archäologen von Alexandria war, dann konnte man wohl mit Altertümern nicht so viel Geld machen, wie er gedacht hatte.
Ibrahim schien seine Gedanken lesen zu können. «Ich weiß», klagte er. «Aber was soll ich tun? Was ist wichtiger, Ausgrabungen oder mein Komfort?» Mohammed zuckte mit den Achseln, als Ibrahim herüberkam und sich neben ihn setzte. Immerhin sah der Mann mit seinem eleganten Anzug und der goldenen Uhr nach Geld aus. Er legte seine Hände affektiert in den Schoß und fragte: «Und Sie haben also etwas gefunden?»
«Ja.»
«Wollen Sie mir davon erzählen?»
Mohammed schluckte. Er war ein großer Mann, der durch körperliche Gefahren nicht so leicht zu ängstigen war. Gebildete Menschen schüchterten ihn jedoch ein. Aber eigentlich wirkte Ibrahim freundlich. Er sah vertrauenswürdig aus. Mohammed legte seinen Koffer auf den Tisch, öffnete ihn, holte das gerahmte Foto von Layla hervor und legte es vor Ibrahim. Ihr Bild zu berühren und zu sehen, ermutigte ihn wieder. «Das ist meine Tochter», sagte er. «Sie heißt Layla.»
Ibrahim musterte Mohammed skeptisch. «Allah hat sie wirklich gesegnet.»
«Ja, vielen Dank. Leider ist Layla sehr krank.»
«Ach», sagte Ibrahim und lehnte sich zurück. «Das tut mir leid.»
«Man nennt es Burkitt-Lymphom. Es begann als traubengroßer Tumor in ihrem Magen und wurde dann zu einem mangogroßen unter der Haut. Die Ärzte haben ihn entfernt. Sie bekam Chemotherapie. Wir dachten, sie hätte es überstanden.»
Ibrahim rieb seinen Hals. «Maha sagte, Sie hätten etwas gefunden.»
«Die Ärzte sind gute Menschen», sagte Mohammed. «Aber sie sind überarbeitet und schlecht ausgestattet. Sie haben kein Geld. Sie warten darauf, dass …»
«Entschuldigen Sie, aber Maha sagte, Sie haben etwas gefunden …»
«Sie warten darauf, dass Laylas Krankheit so weit fortschreitet, dass sie nichts mehr tun können.» Mohammed beugte sich vor und sagte leise, aber eindringlich: «So weit ist es noch nicht. Meine
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