Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gottschalk-Komplott

Das Gottschalk-Komplott

Titel: Das Gottschalk-Komplott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brunner
Vom Netzwerk:
empfand er entsetzliche, unbeschreibliche Scham.
    Stück um Stück suchte er die verstreuten Fragmente seiner Persönlichkeit zusammen, bis er wieder genug Gewalt über seine Gliedmaßen besaß, um sich zu erheben. Ihm oberflächlich schon seit längerer Zeit bekannt, eingestuft als zitierbares Zitat, weil es seine berufliche Tätigkeit so unmittelbar berührte, trieb aus seinem Unterbewußtsein ein geflügeltes Wort von Xavier Conroy herauf. „Die westliche Kultur unterzieht sich einem Prozeß der Umwandlung von Schuldorientiertheit mit schlechtem Gewissen zur Schamorientiertheit in Verbindung mit der krankhaften Furcht vorm Ertapptwerden.“ Seit kurzem schwärte dies Wort in seinem Gehirn wie ein Brandzeichen, beigebracht mit einer Glut, deren Hitze zu gering gewesen war, um die Verbrennung zu verätzen und zu sterilisieren.
    Er schaute rundum und betrachtete mit freudlosem Blick den Luxus, den Komfort, die Sicherheit seines Heims, und er verspürte Widerwillen. Er wankte ins Bad, entnahm dem Spender eine Stimmungspille und schluckte sie. Während er seine Blase entleerte, wirkte die Pille, und die Welt erweckte einen etwas weniger bedrohlichen Eindruck. Er war dazu imstande, sich einzureden, daß er bis jetzt noch jederzeit mit allem zurechtkam, daß er noch voll im Business stand, daß er auch weiter zahllosen Leuten in die Karten blicken würde, die sie eigentlich nicht sehen lassen wollten …
    Nichtsdestotrotz, ehe er ans Duschen, Frühstücken und andere Einzelheiten eines zivilisierten Daseins dachte, trieb er die Geister des Alptraums aus, indem er an den KommNetz-Apparat ging und eine Direktverbindung zu seinen Bürocomputern herstellte. Unter den Augen der Endlosfilm-Projektion Celias, die an ihrem Ehrenplatz in der Ecke pausenlose spielerische Mobilität abspulte, saß er nackt im klammen Drehsessel und hieb der Hydra seiner Sorgen einen Kopf um den anderen ab. Nach der Ortszeit war es noch früh – sieben Uhr zehn MEZ –, doch der kleine, geschrumpfte Planet Erde existierte heutzutage in einer Zone von Zeitlosigkeit. Die Angelegenheiten, die er weitergereicht hatte, damit man sie bearbeite, während er schlief, erwiesen sich als recht aussichtsreich; einige waren weit genug gediehen, um schon heute verwendet werden zu können, andere reiften heran und verströmten bereits Düfte der Verheißung.
    Allmählich stellte sein Selbstvertrauen sich wieder ein. Allemal war es für ihn eine bessere Medizin als Beruhigungsmittel, sich zu vergegenwärtigen, daß er tiefer als so gut wie jeder andere Einblick in die nicht drei-, sondern vierdimensionale Welt hatte. Er zwang sich dazu, den höhnischen Dämon des Zweifels zu mißachten, der in seinem Kopf immerzu Conroys Zitat wiederholte und darauf hinwies, daß früher oder später, falls jene Äußerung mit der Wahrheit übereinstimmte, die gesamte westliche Welt gegen ihn konspirieren müßte, um ihre zwielichtigen Taten vor ihm zu verheimlichen. Vor zehn, acht, sogar noch vor sechs Jahren hatten alle großen Sendeanstalten ihre jeweiligen Medienkiebize gehabt; einer nach dem anderen hatten sie abgehen müssen, einige wegen des Erhebens von Anschuldigungen, die sie nicht beweisen konnten, andere lediglich, weil sie ihr Publikum verloren, ihnen die Fähigkeit abhanden geriet, zu irritieren, provozieren, zu faszinieren.
    Lag das daran, daß die Welt einen redlichen Menschen nicht länger ebenso bewunderte wie jemanden, dem es gelang, mit Unredlichkeit davonzukommen? Und wie redlich war ein Mann, der seinen Lebensunterhalt damit verdiente, jene bloßzustellen, denen es mißlungen war, ihre Betrügereien vollkommen zu tarnen? Als seien die Fragen ihm von jemandem aufgedrängt worden, blickte sich Flamen mißbehaglich um. Aber er sah nur Celias Abbild sich bewegen, wie es unablässig endlose Kreise beschrieb. Er wandte sich erneut zum KommNetz-Bildschirm und widmete sich dem ersten und wichtigsten der rund ein Dutzend Punkte, die er in der Nacht hatte computerrecherchieren lassen.
    Ja, tatsächlich, es stimmte, Marcantonio Gottschalk war über das Fernbleiben Wjatscheslaw Gottschalks und einer Anzahl anderer hocheingestufter Polys von der Feier seines achtzigsten Geburtstags verschnupft. Es konnte schwerlich als Neuigkeit gelten, daß innerhalb des Kartells wiederum ein Machtkampf bevorstand, aber bisher waren Informationen darüber, wer auf wessen Seite Stellung bezog, wirksam unterdrückt worden.
    Durfte er es wagen, einfach Vermutungen anzustellen, bei welchen

Weitere Kostenlose Bücher