Das große Buch der Lebenskunst
Nicht die Erfolgreichen sind die besten Freunde, sondern die vom Schicksal Benachteiligten, die sich ihrer eigenen Gefährdung stellen, die
sich ihrer Grenzen und Schwächen bewusst sind. Freundschaft braucht Offenheit für den andern. Wer seine Gefühle mit Aktivitäten zustopft, wird unfähig,
sie mit dem Freund zu teilen. Wer aber nichts mehr zu teilen hat, kann keines Menschen Freund sein. Genießen kann die Freundschaft nur, wer sich seiner
eigenen Armut stellt.
So hat es Johann Wolfgang von Goethe erfahren: »Nur uns Armen, die wir wenig oder nichts besitzen, ist es gegönnt, das Glück der Freundschaft in
reichem Maße zu genießen. Wir haben nichts als uns selbst. Dieses ganze Selbst müssen wir hingeben.«
Gleichheit
J edes zu große Übergewicht von einer Seite stört die Freundschaft«, sagt Adolf Freiherr von Knigge. Wenn
der eine Freund sich als Helfer, Therapeut, Gönner des anderen gibt, dann zerstört das die Freundschaft. Freundschaft braucht ein Du und Ich, das auf der
gleichen Ebene steht. Einer beschenkt den andern. Eine befruchtet die andere. Wenn eine Helferbeziehung zur Freundschaft wird, dann muss der Helfer von
seiner Position herabsteigen und sich auf die Ebene des Freundes begeben. Wenn er immer wieder seine Vaterrolle oder Helferrolle einnimmt, zerstört er
damit die Freundschaft. Der Freund fühlt sich behandelt und belehrt, aber nicht um seiner selbst willen geliebt.
»Übermaß der Wohltaten schwächt die Freundschaft statt sie zu stärken«, sagt Ernst Raupach. Es gibt Freunde, die dem Freund zu viel schenken. Das bewirkt im Freund das Gefühl, der andere möchte sich die Freundschaft erkaufen. Er wird das Gefühl unterdrücken. Aber schon bald wird das unterdrückte Gefühl in ihm zur Aggression und schließlich zur Verhärtung führen. Und das verhärtete Herz kann keine Freundschaft mehr fühlen. Es darf kein Gefälle in der Freundschaft geben, etwa das Gefälle des reichen Gebers und des armen Empfängers, des Unwissenden und des Wissenden, des Gesunden und des Kranken. Freundschaft braucht die Gleichheit der Freunde, sonst ist sie bedroht.
Männerfreundschaften
A uch heute sind für viele Männer ihre Freunde wichtig. Es gibt viele Männergruppen, in denen man sich
austauscht und miteinander etwas unternimmt. Und es gibt wichtige persönliche Freunde. Mit ihnen wollen die Männer Freundschaft auch weiterhin leben, wenn
sie verheiratet sind. Für junge Ehefrauen ist das manchmal ein Problem. Sie meinen, der Mann müsse nun alle seine Liebe nur ihr zeigen. Doch
offensichtlich braucht ein Mann auch den Freund, um ganz er selbst zu werden. Selbst die Liebe zu seiner Frau, auch wenn sie noch so erfüllend ist,
ersetzt ihm nicht auf Dauer diese Qualität der Freundschaft. Wenn Männer aus Rücksicht auf ihre Frau mit ihren Freunden brechen, so tut das in der Regel
der Ehe nicht gut. Freunde geben der Ehe einen größeren und solideren Rahmen. Die Freundschaft mit anderen Männern bereichert die Liebe zwischen Mann und
Frau, anstatt sie zu gefährden. Sie entlastet sowohl den Mann als auch die Frau von Übererwartungen. Die Frau kann nicht alle Erwartungen des Mannes
erfüllen und umgekehrt. Beide brauchen noch andere Beziehungen, damit die eigene Beziehung das richtige Maß findet.
Frauenfreundschaften
E s gibt viele Freundschaften zwischen unverheirateten Frauen. Sie begleiten einander, geben einander
Halt, tauschen sich aus, teilen ihre Erfahrungen, ihre Gefühle, ihre Erlebnisse. Sie verreisen miteinander und haben die gleichen Interessen. Manchmal
befruchten sie sich gegenseitig auf ihrem spirituellen Weg. Viele Ehefrauen sind miteinander befreundet. Während die Männer in der Arbeit sind, treffen
sie sich, sprechen über die Kinder und über ihre Partnerschaft. Die Freundschaft mit anderen Frauen gibt ihnen ein Gefühl von Heimat. Die Freundschaft
zwischen einer unverheirateten und verheirateten Frau hat ihren eigenen Wert. Oft ist sie für beide fruchtbar. Die verheiratete hat durch ihre
Freundschaft teil an der Welt der unverheirateten und umgekehrt. Das erweitert ihren Horizont und relativiert ihre Probleme.
Frauen, die auf ihre Weise echte Freundschaft leben, erfahren, was Anna Luise Karsch mit den Worten ausgedrückt hat: »Meine Freunde sind das kostbarste
Geschenk meines Glückes. Ich vertausche sie nicht für Reichtümer.« Viele Frauen fühlen sich von ihren Freundinnen genauso gehalten wie von ihren
Familien. Die
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