Das große Heft
Wasser.
Die anderen Kinder
Wir treffen andere Kinder in der Kleinen Stadt. Da die Schule geschlossen ist, sind sie den ganzen Tag draußen. Es gibt große und kleine. Manche haben ihr Haus und ihre Mutter hier, andere kommen von woanders, wie wir. Vor allem aus der Großen Stadt.
Viele dieser Kinder wohnen bei Leuten, die sie vorher nicht kannten. Sie müssen auf den Feldern und in den Weinbergen arbeiten; die Leute, die sie hüten, sind nicht immer nett zu ihnen.
Die großen Kinder greifen oft die kleinen an. Sie nehmen ihnen alles weg, was sie in den Taschen haben, manchmal sogar ihre Kleider. Sie schlagen sie auch, vor allem die, die von woanders herkommen. Die Kleinen von hier werden von ihren Müttern beschützt und gehen nie allein aus dem Haus.
Wir werden von niemand beschützt. Daher lernen wir, uns gegen die Großen zu wehren.
Wir stellen Waffen her: Wir schärfen Steine, füllen Socken mit Sand und Kies. Wir haben auch ein Rasiermesser, das wir in der Truhe in der Dachkammer gefunden haben, neben der Bibel. Wir brauchen nur unser Rasiermesser herauszuziehen, damit die Großen weglaufen. An einem heißen Tag sitzen wir neben dem Brunnen, aus dem die Leute, die keinen eigenen Brunnen haben, Wasser holen. Ganz in der Nähe liegen Jungen, die größer sind als wir, im Gras. Es ist kühl hier unter den Bäumen, in der Nähe des Wassers, das ununterbrochen fließt. Hasenscharte kommt mit einem Eimer, den sie unter den Hahn stellt, aus dem ein dünner Wasserfaden rinnt. Sie wartet, bis ihr Eimer voll ist.
Als der Eimer voll ist, steht einer der Jungen auf und spuckt hinein. Hasenscharte leert den Eimer, spült ihn aus und stellt ihn wieder unter den Hahn.
Der Eimer ist wieder voll, ein anderer Junge steht auf und spuckt hinein. Hasenscharte stellt den ausgespülten Eimer wieder unter den Hahn. Sie wartet nicht mehr, bis der Eimer voll ist, sie füllt ihn nur halb und versucht, schnell fortzulaufen.
Einer der Jungen rennt ihr nach, packt sie am Arm und spuckt in den Eimer.
Hasenscharte sagt:
- Hört doch auf! Ich muß sauberes und trinkbares Wasser heimbringen.
Der Junge sagt:
- Es ist sauberes Wasser. Ich habe bloß reingespuckt. Du willst doch nicht behaupten, meine Spucke ist schmutzig! Meine Spucke ist sauberer als alles, was bei euch ist.
Hasenscharte leert ihren Eimer aus, sie weint. Der Junge öffnet seinen Hosenlatz und sagt:
- Lutsche! Wenn du ihn mir lutschst, lassen wir dich deinen Eimer füllen.
Hasenscharte hockt sich hin. Der Junge weicht zurück:
- Glaubst du, ich stecke meinen Pimmel in deinen dreckigen Mund? Schlampe!
Er tritt Hasenscharte gegen die Brust und macht seinen Hosenlatz wieder zu.
Wir nähern uns. Wir heben Hasenscharte auf, wir nehmen den Eimer, wir spülen ihn gut aus und stellen ihn unter den Hahn des Brunnens.
Einer der Jungen sagt zu den beiden andern:
- Kommt, wir spielen woanders.
Ein anderer sagt:
- Bist du verrückt? Jetzt wird's erst richtig lustig.
Der erste sagt:
- Vergiß es! Ich kenne sie. Sie sind gefährlich.
- Gefährlich? Diese kleinen Trottel? Ich knöpfe sie mir vor. Ihr werdet schon sehen!
Er kommt auf uns zu, will in den Eimer spucken, aber einer von uns stellt ihm ein Bein, der andere schlägt ihm mit einem Sandsack auf den Kopf. Der Junge fällt hin. Er bleibt liegen, betäubt. Die beiden andern sehen uns an. Einer von ihnen macht einen Schritt auf uns zu. Der andere sagt:
- Paß auf! Diese kleinen Schweine sind zu allem fähig. Einmal haben sie mir die Schläfe mit einem Stein aufgeschlitzt. Sie haben auch ein Rasiermesser und scheuen sich nicht, es zu benutzen. Sie würden dir skrupellos den Hals abschneiden. Sie sind völlig verrückt. Die Jungen gehen weg.
Wir reichen Hasenscharte den vollen Eimer.
Sie fragt uns:
- Warum habt ihr mir nicht gleich geholfen?
- Wir wollten sehen, wie du dich wehrst.
- Was hätte ich tun können gegen drei Große?
- Ihnen deinen Eimer an den Kopf werfen, ihnen das Gesicht zerkratzen, sie in die Eier treten, schreien, brüllen. Oder aber weglaufen und später wiederkommen.
Der Winter
Es wird immer kälter. Wir suchen in unsern Koffern und ziehen fast alles an, was wir darin finden: mehrere Pullover, mehrere Hosen. Aber wir können kein zweites Paar Schuhe über unsere abgetragenen und durchlöcherten Stadtschuhe ziehen. Außerdem haben wir keine andern. Wir haben auch keine Handschuhe und keine Mütze. Unsere Hände und Füße sind voller Frostbeulen. Der Himmel ist dunkelgrau, die Straßen
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