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Das große Heft

Das große Heft

Titel: Das große Heft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agota Kristof
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wir sägen die toten Äste ab und zerkleinern sie mit der Axt. Bei dieser Arbeit frieren wir nicht. Wir schwitzen sogar. So können wir unsere Handschuhe ausziehen und sie in unsere Taschen stecken, damit sie sich nicht so schnell abnützen.
    Eines Tages, als wir mit unsern beiden Reisigbündeln heimgehen, machen wir einen Abstecher, um Hasenscharte zu besuchen.
    Der Schnee vor der Hütte ist nicht weggefegt, und es führt keine Fußspur hin. Der Kamin raucht nicht. Wir klopfen an die Tür, niemand antwortet. Wir treten ein. Zuerst sehen wir nichts, so finster ist es, aber unsere Augen gewöhnen sich schnell an die Dunkelheit. Es ist ein Raum, der als Küche und Schlafzimmer dient. In der dunkelsten Ecke des Raumes steht ein Bett. Wir nähern uns. Wir rufen. Jemand bewegt sich unter den Decken und alten Kleidern; der Kopf von Hasenscharte taucht auf. 
    Wir fragen: 
    - Ist deine Mutter da? 
    Sie sagt: 
    - Ja. 
    - Ist sie tot? 
    - Ich weiß nicht.
    Wir stellen unsere Bündel ab, und wir zünden das Feuer im Herd an, denn in dem Zimmer ist es genauso kalt wie draußen. Dann gehen wir zur Großmutter und holen Kartoffeln und Bohnen aus dem Keller. Wir melken eine Ziege und gehen zur Nachbarin zurück. Wir machen die Milch warm, wir lassen Schnee in einem Topf schmelzen und kochen die Bohnen darin. Die Kartoffeln rösten wir im Ofen.
    Hasenscharte steht auf und setzt sich, schwankend, ans Feuer.
    Die Nachbarin ist nicht tot. Wir gießen ihr Ziegenmilch in den Mund. Wir sagen zu Hasenscharte:
    - Wenn alles gar ist, iß und gib deiner Mutter zu essen. Wir kommen wieder.
    Mit dem Geld, das der Schuster uns zurückgegeben hat, haben wir einige Paar Socken gekauft, aber wir haben nicht alles ausgegeben. Wir gehen in ein Lebensmittelgeschäft, um etwas Mehl zu kaufen und Salz und Zucker mitzunehmen, ohne zu bezahlen. Wir gehen auch zum Metzger; wir kaufen eine dünne Scheibe Speck und nehmen eine dicke Wurst mit, ohne sie zu bezahlen. Wir gehen zu Hasenscharte zurück. Sie und ihre Mutter haben schon alles gegessen. Die Mutter ist im Bett geblieben. Hasenscharte spült das Geschirr. 
    Wir sagen ihr:
    - Wir werden euch jeden Tag ein Bündel Holz bringen. Auch ein paar Bohnen und Kartoffeln. Aber für alles andere braucht man Geld. Wir haben keins mehr. Ohne Geld kann man in kein Geschäft gehen. Man muß etwas kaufen, um etwas anderes stehlen zu können. 
    Sie sagt:
    - Wahnsinnig, wie schlau ihr seid. Ihr habt recht. Mich läßt man nicht mal in die Geschäfte rein. Ich hätte nie gedacht, daß ihr imstand wärt zu stehlen. 
    Wir sagen:
    - Warum nicht? Das wird unsere Geschicklichkeitsübung sein. Aber wir brauchen ein bißchen Geld. Unbedingt.
Sie denkt nach und sagt:
- Geht zum Herrn Pfarrer und bittet ihn um welches. Er gab mir manchmal welches, wenn ich bereit war, ihm meinen Schlitz zu zeigen.
- Er bat dich darum?
    - Ja. Und manchmal steckte er seinen Finger rein. Und danach gab er mir Geld, damit ich niemand was sage. Sagt ihm, Hasenscharte und ihre Mutter brauchen Geld.

Die Erpressung
    Wir gehen zum Herrn Pfarrer. Er wohnt neben der Kirche in einem großen Haus, das Pfarrhaus heißt.
    Wir ziehen an der Schnur der Glocke. Eine alte Frau öffnet die Tür:
- Was wollt ihr?
    - Wir wollen den Herrn Pfarrer sehen. 
    - Weswegen?
    - Wegen jemand, der im Sterben liegt.
    Die Alte läßt uns in ein Vorzimmer eintreten. Sie klopft an eine Tür.
Sie schreit:
    - Herr Pfarrer, es geht um eine letzte Ölung.
    Eine Stimme antwortet hinter der Tür:
    - Ich komme. Man soll auf mich warten.
    Wir warten ein paar Minuten. Ein großer, magerer Mann mit strengem Gesicht kommt aus dem Zimmer. Er trägt eine Art weiß-goldenen Umhang über seinen dunklen Kleidern. 
    Er fragt uns:
    - Wo ist es? Wer hat euch geschickt?
- Hasenscharte und ihre Mutter.
Er sagt:
    - Ich bitte euch um den genauen Namen dieser Leute. 
    - Wir kennen ihren genauen Namen nicht. Die Mutter ist blind und taub. Sie wohnen im letzten Haus der Stadt. Sie sind gerade im Begriff, vor Hunger und Kälte zu sterben. 
    Der Pfarrer sagt:
    - Obwohl ich diese Personen überhaupt nicht kenne, bin ich bereit, ihnen die letzte Ölung zu geben. Gehen wir. Führt mich..
    Wir sagen:
    - Sie brauchen noch keine letzte Ölung. Sie brauchen ein bißchen Geld. Wir haben ihnen Holz gebracht, ein paar Kartoffeln und Bohnen, aber mehr können wir nicht tun. Hasenscharte hat uns hergeschickt. Sie haben ihr manchmal ein bißchen Geld gegeben. 
    Der Pfarrer sagt:
    - Das ist möglich. Ich

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