Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das große Heft

Das große Heft

Titel: Das große Heft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agota Kristof
Vom Netzwerk:
nett. Ich habe sie gekannt, als sie ganz klein war. Es war richtig, daß sie weggegangen ist. Hier hätte sie nie heiraten können. Bei all dem Gerede... 
    Wir fragen: 
    - Was für ein Gerede?
    - Daß sie ihren Mann vergiftet haben soll. Ich meine, eure Großmutter hat euren Großvater vergiftet. Eine alte Geschichte. Daher kommt es, daß man sie Hexe nennt. 
    Wir sagen:
    - Wir wollen nicht, daß man Schlechtes über Großmutter sagt.
    Der Briefträger dreht sein Fahrrad um:
    - Gut, gut, schließlich solltet ihr Bescheid wissen. 
    Wir sagen:
    - Wir wußten schon Bescheid. Von jetzt an werden Sie uns die Post geben. Sonst werden wir Sie töten. Haben Sie
verstanden?
Der Briefträger sagt:
    - Dazu wärt ihr imstande, Mörderbrut. Ihr sollt eure Post haben, mir ist das egal. Ich pfeife auf die Hexe. 
    Er geht, sein Fahrrad schiebend. Er zieht das Bein nach, um zu zeigen, daß wir ihm weh getan haben.
    Am nächsten Tag gehen wir, warm angezogen, in die Stadt, um mit dem Geld, das unsere Mutter uns geschickt hat, Gummistiefel zu kaufen. Ihren Brief tragen wir unter unserm Hemd, einer nach dem andern.

Der Schuster
    Der Schuster wohnt und arbeitet im Souterrain eines Hauses in der Nähe des Bahnhofs. Das Zimmer ist geräumig. In einer Ecke ist sein Bett, in einer andern seine Küche. Seine Werkstatt befindet sich vor dem Fenster, das zu ebener Erde geht. Der Schuster sitzt auf einem niedrigen Schemel, umgeben von Schuhen und Werkzeugen. Er betrachtet uns über seine Brille hinweg; er betrachtet unsere rissigen Lackschuhe. 
    Wir sagen:
    - Guten Tag. Wir möchten Gummistiefel, wasserfest, warm. Verkaufen Sie welche? Wir haben Geld. 
    Er sagt:
    - Ja, ich verkaufe welche. Aber die gefütterten, warmen sind sehr teuer.
Wir sagen:
- Wir brauchen sie unbedingt. Wir haben kalte Füße.
Wir legen das Geld, das wir haben, auf den niedrigen Tisch.
Der Schuster sagt:
    - Das reicht gerade für ein Paar. Aber ein Paar kann reichen. Ihr habt dieselbe Schuhgröße. Ihr geht eben abwechselnd aus dem Haus.
    - Das ist nicht möglich. Nie geht einer von uns ohne den andern aus dem Haus. Wir gehen immer zusammen. 
    - Bittet eure Eltern um mehr Geld.
    - Wir haben keine Eltern. Wir wohnen bei unserer Großmutter, die man die Hexe nennt. Sie wird uns kein Geld
geben.
Der Schuster sagt:
    - Die Hexe ist eure Großmutter? Meine armen Kleinen!
    Und ihr seid von ihr bis hierher gekommen in diesen Schuhen!
    - Ja, wir sind gekommen. Wir können den Winter nicht ohne Stiefel verbringen. Wir müssen im Wald Holz holen; wir müssen den Schnee wegräumen. Wir brauchen unbedingt...
    - Zwei Paar warme und wasserfeste Stiefel.
    Der Schuster lacht und reicht uns zwei Paar Stiefel: 
    - Probiert sie an.
    Wir probieren sie an, - sie passen sehr gut. 
    Wir sagen:
    - Wir behalten sie. Wir zahlen Ihnen das zweite Paar im Frühling, wenn wir Fische und Eier verkaufen. Oder wenn es Ihnen lieber ist, bringen wir Ihnen Holz. 
    Der Schuster reicht uns unser Geld:
    - Da. Nehmt es zurück. Ich will euer Geld nicht. Kauft euch lieber warme Socken. Ich schenke euch diese Stiefel, weil ihr sie unbedingt braucht. 
    Wir sagen:
    - Wir nehmen nicht gerne Geschenke an. 
    - Und warum nicht? 
    - Weil wir nicht gern danke sagen.
    - Ihr müßt überhaupt nichts sagen. Geht. Nein. Wartet! Nehmt noch diese Pantoffeln und diese Sandalen für den Sommer, und auch diese Halbschuhe. Sie sind sehr fest. Nehmt alles, was ihr wollt.
    - Aber warum wollen Sie uns das alles geben?
- Ich brauche es nicht mehr. Ich werde bald weggehen.
Wir fragen:
- Wo gehen Sie hin?
- Woher soll ich das wissen? Man wird mich abholen und mich töten.
Wir fragen:
- Wer will Sie töten, und warum?
Er sagt:
    - Stellt keine Fragen. Geht jetzt.
    Wir nehmen die Schuhe, die Pantoffeln, die Sandalen. Wir haben die Stiefel an den Füßen. Wir bleiben vor der Tür stehen, wir sagen:
    - Wir hoffen, daß man Sie nicht abholt. Oder, wenn man Sie abholt, daß man Sie nicht tötet. Auf Wiedersehen, und danke, vielen Dank.
    Als wir heimkommen, fragt Großmutter:
    - Wo habt ihr das gestohlen, Galgenstricke? 
    - Wir haben nichts gestohlen. Es ist ein Geschenk. Nicht jeder ist so geizig wie Sie, Großmutter.

Der Diebstahl
    Mit unsern Stiefeln, unsern warmen Kleidern können wir wieder hinaus. Wir schlittern auf dem zugefrorenen Fluß, wir holen Holz im Wald.
    Wir nehmen eine Axt und eine Säge. Man kann das heruntergefallene tote Holz nicht mehr aufsammeln; die Schneedecke ist zu dick. Wir klettern auf die Bäume,

Weitere Kostenlose Bücher