Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
ich komme Schlag zwölf Uhr, und ist sie dann nicht mehr in deinen Armen, so hast du verloren.“ Der Königssohn dachte, „der Bund ist leicht, ich will wohl meine Augen offen behalten,“ doch rief er seine Diener, erzählte ihnen, was die Alte gesagt hatte und sprach „wer weiß, was für eine List dahinter steckt, Vorsicht ist gut, haltet Wache und sorgt dass die Jungfrau nicht wieder aus meiner Kammer kommt.“ Als die Nacht einbrach, kam die Alte mit ihrer Tochter und führte sie in die Arme des Königssohns, und dann schlang sich der Lange um sie beide in einen Kreis, und der Dicke stellte sich vor die Türe, also dass keine lebendige Seele herein konnte. Da saßen sie beide, und die Jungfrau sprach kein Wort, aber der Mond schien durchs Fenster auf ihr Angesicht, dass er ihre wunderbare Schönheit sehen konnte. Er tat nichts als sie anschauen, war voll Freude und Liebe, und es kam keine Müdigkeit in seine Augen. Das dauerte bis elf Uhr, da warf die Alte einen Zauber über alle, dass sie einschliefen, und in dem Augenblick war auch die Jungfrau entrückt.
Nun schliefen sie hart bis ein Viertel vor zwölf, da war der Zauber kraftlos, und sie erwachten alle wieder. „O Jammer und Unglück,“ rief der Königssohn, „nun bin ich verloren!“ Die treuen Diener fingen auch an zu klagen, aber der Horcher sprach „seid still, ich will horchen,“ da horchte er einen Augenblick und dann sprach er „sie sitzt in einem Felsen dreihundert Stunden von hier, und bejammert ihr Schicksal. Du allein kannst helfen, Langer, wenn du dich aufrichtest, so bist du mit ein paar Schritten dort.“ „Ja,“ antwortete der Lange, „aber der mit den scharfen Augen muss mitgehen, damit wir den Felsen wegschaffen.“ Da huckte der Lange den mit verbundenen Augen auf, und im Augenblick, wie man eine Hand umwendet waren sie vor dem verwünschten Felsen. Alsbald nahm der Lange dem andern die Binde von den Augen, der sich nur umschaute, so zersprang der Felsen in tausend Stücke. Da nahm der Lange die Jungfrau auf den Arm, trug sie in einem Nu zurück, holte eben so schnell auch noch seinen Kameraden, und eh es zwölfe schlug, saßen sie alle wieder wie vorher und waren munter und guter Dinge. Als es zwölf schlug, kam die alte Zauberin herbei geschlichen, machte ein höhnisches Gesicht, als wollte sie sagen „nun ist er mein,“ und glaubte ihre Tochter säße dreihundert Stunden weit im Felsen. Als sie aber ihre Tochter in den Armen des Königssohns erblickte, erschrack sie und sprach „da ist einer, der kann mehr als ich.“ Aber sie durfte nichts einwenden und musste ihm die Jungfrau zusagen. Da sprach sie ihr ins Ohr „Schande für dich, dass du gemeinem Volk gehorchen sollst und dir einen Gemahl nicht nach deinem Gefallen wählen darfst.“
Da ward das stolze Herz der Jungfrau mit Zorn erfüllt und sann auf Rache. Sie ließ am andern Morgen dreihundert Malter Holz zusammenfahren und sprach zu dem Königssohn, die drei Bünde wären gelöst, sie würde nicht eher seine Gemahlin werden, bis einer bereit wäre, sich mitten in das Holz zu setzen und das Feuer auszuhalten. Sie dachte keiner seiner Diener würde sich für ihn verbrennen, und aus Liebe zu ihr würde er selber sich hinein setzen, und dann wäre sie frei. Die Diener aber sprachen „wir haben alle etwas getan, nur der Frostige noch nicht, der muss auch daran,“ setzten ihn mitten auf den Holzstoß und steckten ihn an. Da begann das Feuer zu brennen und brannte drei Tage, bis alles Holz verzehrt war, und als die Flammen sich legten, stand der Frostige mitten in der Asche, zitterte wie ein Espenlaub und sprach „einen solchen Frost habe ich mein Lebtage nicht ausgehalten, und wenn er länger gedauert hätte, so wäre ich erstarrt.“
Nun war keine Aussicht mehr zu finden, die schöne Jungfrau musste den unbekannten Jüngling zum Gemahl nehmen. Als sie aber nach der Kirche fuhren, sprach die Alte „ich kann die Schande nicht ertragen“ und schickte ihr Kriegsvolk nach, das sollte alles niedermachen, was ihm vorkäme, und ihr die Tochter zurück bringen. Der Horcher aber hatte die Ohren gespitzt und die heimlichen Reden der Alten vernommen. „Was fangen wir an?“ sprach er zu dem Dicken, aber der wusste Rat, spie einmal oder zweimal hinter dem Wagen einen Teil von dem Meereswasser aus, das er getrunken hatte, da entstand ein großer See, worin die Kriegsvölker stecken blieben und ertranken. Als die Zauberin das vernahm, schickte sie ihre geharnischten Reiter,
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