Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
hatte die Augen zugebunden. Sprach der Königssohn zu ihm „hast du blöde Augen, dass du nicht in das Licht sehen kannst?“ „Nein,“ antwortete der Mann, „ich darf die Binde nicht abnehmen, denn was ich mit meinen Augen ansehe, das springt aus einander, so gewaltig ist mein Blick. Kann euch das nützen, so will ich euch gern dienen.“ „Komm mit,“ antwortete der Königssohn, „ich kann dich brauchen.“ Sie zogen weiter und fanden einen Mann, der lag mitten im heißen Sonnenschein und zitterte und fror am ganzen Leibe, so dass ihm kein Glied still stand. „Wie kannst du frieren?“ sprach der Königssohn, „und die Sonne scheint so warm.“ „Ach,“ antwortete der Mann, „meine Natur ist ganz anderer Art, je heißer es ist, desto mehr frier ich, und der Frost dringt mir durch alle Knochen: und je kälter es ist, desto heißer wird mir: mitten im Eis kann ichs vor Hitze, und mitten im Feuer vor Kälte nicht aushalten.“ „Du bist ein wunderlicher Kerl,“ sprach der Königssohn, „aber wenn du mir dienen willst, so komm mit.“ Nun zogen sie weiter und sahen einen Mann stehen, der machte einen langen Hals, schaute sich um und schaute über alle Berge hinaus. Sprach der Königssohn „wonach siehst du so eifrig?“ Der Mann antwortete „ich habe so helle Augen, dass ich über alle Wälder und Felder, Täler und Berge hinaus und durch die ganze Welt sehen kann.“ Der Königssohn sprach „willst du, so komm mit mir, denn so einer fehlte mir noch.“
Nun zog der Königssohn mit seinen sechs Dienern in die Stadt ein, wo die alte Königin lebte. Er sagte nicht wer er wäre, aber er sprach „wollt ihr mir eure schöne Tochter geben, so will ich vollbringen, was ihr mir auferlegt.“ Die Zauberin freute sich dass ein so schöner Jüngling wieder in ihre Netze fiel und sprach „dreimal will ich dir einen Bund aufgeben, lösest du ihn jedesmal, so sollst du der Herr und Gemahl meiner Tochter werden.“ „Was soll das erste sein?“ fragte er. „dass du mir einen Ring herbei bringst, den ich ins rote Meer habe fallen lassen.“ Da ging der Königssohn heim zu seinen Dienern und sprach „der erste Bund ist nicht leicht, ein Ring soll aus dem roten Meer geholt werden, nun schafft Rath.“ Da sprach der mit den hellen Augen „ich will sehen wo er liegt,“ schaute in das Meer hinab und sagte „dort hängt er an einem spitzen Stein.“ Der Lange trug sie hin und sprach „ich wollte ihn wohl heraus holen, wenn ich ihn nur sehen könnte.“ „Wenns weiter nichts ist,“ rief der Dicke, legte sich nieder und hielt seinen Mund ans Wasser: da fielen die Wellen hinein wie in einen Abgrund, und er trank das ganze Meer aus, dass es trocken ward wie eine Wiese. Der Lange bückte sich ein wenig und holte den Ring mit der Hand heraus. Da war der Königssohn froh als er den Ring hatte, und brachte ihn der Alten. Sie erstaunte und sprach „ja, es ist der rechte Ring: den ersten Bund hast du glücklich gelöst, aber nun kommt der zweite. Siehst du dort auf der Wiese vor meinem Schlosse, da weiden dreihundert fette Ochsen, die musst du mit Haut und Haar, Knochen und Hörnern verzehren: und unten im Keller liegen dreihundert Fässer Wein, die musst du dazu austrinken; und bleibt von den Ochsen ein Haar und von dem Wein ein Tröpfchen übrig, so ist mir dein Leben verfallen.“ Sprach der Königssohn „darf ich mir keine Gäste dazu laden? ohne Gesellschaft schmeckt keine Mahlzeit.“ Die Alte lachte boshaft und antwortete „einen darfst du dir dazu laden, damit du Gesellschaft hast, aber weiter keinen.“
Da ging der Königssohn zu seinen Dienern und sprach zu dem Dicken „du sollst heute mein Gast sein und dich einmal satt essen.“ Da tat sich der Dicke von einander und aß die dreihundert Ochsen, dass kein Haar übrig blieb, und fragte ob weiter nichts als das Frühstück da wäre: den Wein aber trank er gleich aus den Fässern, ohne dass er ein Glas nötig hatte, und trank den letzten Tropfen vom Nagel herunter. Als die Mahlzeit zu Ende war, ging der Königssohn zur Alten und sagte ihr der zweite Bund wäre gelöst. Sie verwunderte sich und sprach „so weit hats noch keiner gebracht, aber es ist noch ein Bund übrig,“ und dachte „du sollst mir nicht entgehen und wirst deinen Kopf nicht oben behalten.“ „Heut Abend,“ sprach sie, „bring ich meine Tochter zu dir in deine Kammer und du sollst sie mit deinem Arm umschlingen: und wenn ihr da beisammen sitzt, so hüte dich dass du nicht einschläfst:
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