Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
sehen, dass ich etwas zu essen kriege ohne Bettelei.“ Da ging sie aus, kam wieder, und hatte ein Stückchen Brot eingebracht, das aßen sie miteinander, es war aber zu wenig, um den Hunger zu stillen. Darum hub die Mutter zur andern Tochter an: „so musst du daran.“ Sie antwortete aber: „ach, liebe Mutter, schont meiner, ich will gehen und unbemerkt etwas zu essen anderswo ausbringen.“ Da ging sie hin, kam wieder und hatte zwei Stückchen Brot eingebracht; das aßen sie mit einander, es war aber zu wenig, um den Hunger zu stillen. Darum sprach die Mutter nach etlichen Stunden abermals zu ihnen: „ihr müsset doch sterben, denn wir müssen sonst verschmachten.“ Darauf antworteten sie: „liebe Mutter, wir wollen uns niederlegen und schlafen, und nicht eher wieder aufstehen, als bis der jüngste Tag kommt.“ Da legten sie sich hin und schliefen einen tiefen Schlaf, aus dem sie niemand erwecken konnte, die Mutter aber ist weggekommen und weiß kein Mensch, wo sie geblieben ist.
Das Eselein
Es lebte einmal ein König und eine Königin, die waren reich und hatten alles, was sie sich wünschten, nur keine Kinder. Darüber klagte sie Tag und Nacht und sprach „ich bin wie ein Acker, auf dem nichts wächst.“ Endlich erfüllte Gott ihre Wünsche: als das Kind aber zur Welt kam, sahs nicht aus wie ein Menschenkind, sondern war ein junges Eselein. Wie die Mutter das erblickte, fing ihr Jammer und Geschrei erst recht an, sie hätte lieber gar kein Kind gehabt als einen Esel, und sagte man sollt ihn ins Wasser werfen, damit ihn die Fische fräßen. Der König aber sprach „nein, hat Gott ihn gegeben, soll er auch mein Sohn und Erbe sein, nach meinem Tod auf dem königlichen Thron sitzen und die königliche Krone tragen.“ Also ward das Eselein aufgezogen, nahm zu, und die Ohren wuchsen ihm auch fein hoch und gerad hinauf. Es war aber sonst fröhlicher Art, sprang herum, spielte und hatte besonders seine Lust an der Musik, so dass es zu einem berühmten Spielmann ging und sprach „lehre mich deine Kunst, dass ich so gut die Laute schlagen kann als du.“ „Ach, liebes Herrlein,“ antwortete der Spielmann, „das sollt euch schwer fallen, eure Finger sind nicht allerdings dazu gemacht und gar zu groß; ich sorge die Saiten haltens nicht aus.“ Es half keine Ausrede, das Eselein wollte und musste die Laute schlagen, war beharrlich und fleißig, und lernte es am Ende so gut als sein Meister selber. Einmal ging das junge Herrlein nachdenksam spazieren und kam an einen Brunnen, da schaute es hinein und sah im spiegelhellen Wasser seine Eseleinsgestalt. Darüber war es so betrübt, dass es in die weite Welt ging und nur einen treuen Gesellen mitnahm. Sie zogen auf und ab, zuletzt kamen sie in ein Reich, wo ein alter König herrschte, der nur eine einzige aber wunderschöne Tochter hatte. Das Eselein sagte „hier wollen wir weilen,“ klopfte ans Tor und rief „es ist ein Gast haußen, macht auf, damit er eingehen kann.“ Als aber nicht aufgetan ward, setzte er sich hin, nahm seine Laute und schlug sie mit seinen zwei Vorderfüßen aufs lieblichste. Da sperrte der Türhüter gewaltig die Augen auf, lief zum König und sprach „da draußen sitzt ein junges Eselein vor dem Tor, das schlägt die Laute so gut als ein gelernter Meister.“ „So lass mir den Musikant hereinkommen“ sprach der König. Wie aber ein Eselein hereintrat, fing alles an über den Lautenschläger zu lachen. Nun sollte das Eselein unten zu den Knechten gesetzt und gespeist werden, es ward aber unwillig und sprach „ich bin kein gemeines Stalleselein, ich bin ein vornehmes.“ Da sagten sie „wenn du das bist, so setze dich zu dem Kriegsvolk.“ „Nein,“ sprach es, „ich will beim König sitzen.“ Der König lachte und sprach in gutem Mut „ja, es soll so sein, wie du verlangst, Eselein, komm her zu mir.“ Danach fragte er „Eselein, wie gefällt dir meine Tochter?“ Das Eselein drehte den Kopf nach ihr, schaute sie an, nickte und sprach „aus der Maßen wohl, sie ist so schön wie ich noch keine gesehen habe.“ „Nun, so sollst du auch neben ihr sitzen“ sagte der König. „Das ist mir eben recht“ sprach das Eselein und setzte sich an ihre Seite, aß und trank und wusste sich fein und säuberlich zu betragen. Als das edle Tierlein eine gute Zeit an des Königs Hof geblieben war, dachte es „was hilft das alles, du musst wieder heim,“ ließ den Kopf traurig hängen, trat vor den König und verlangte seinen Abschied.
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