Das Grosse Spiel
ihn weiter ausdruckslos an.
Also ist dies ein Spiel, dachte Ender. Nun, wenn sie wollen, daß ich zum Unterricht gehe, werden sie die Tür aufschließen. Wenn nicht, dann nicht. Mir ist es egal.
Ender mochte Spiele nicht, wo die Regeln beliebig sein konnten und das Spielziel nur ihnen bekannt war. Also würde er nicht mitspielen. Er weigerte sich auch, wütend zu werden. Er absolvierte eine Entspannungsübung, während er an der Tür lehnte, und bald war er wieder ruhig und gelassen. Der alte Mann fuhr fort, ihn unbewegt anzuschauen.
Stunden schienen so zu vergehen, während Ender sich weigerte zu sprechen und der alte Mann geistlos und stumm schien. Manchmal fragte sich Ender, ob er geisteskrank war, entflohen aus irgendeiner inneren Abteilung irgendwo auf Eros, und hier in Enders Zimmer seine verrückte Phantasie! auslebte. Aber je mehr Zeit verstrich, ohne daß jemand zur Tür kam, ohne daß jemand nach ihm suchte, desto sicherer wurde er, daß dies irgend etwas Wohlerwogenes war, dazu gedacht, ihn aus der Fassung zu bringen. Ender wollte nicht dem alten Mann den Sieg überlassen. Um sich die Zeit zu vertreiben, begann er, Leibesübungen zu machen. Manche waren unmöglich ohne die Ausrüstung der Turnhalle, aber andere, besonders aus seinem Selbstverteidigungskurs, konnte er ohne jegliche Hilfsmittel durchführen.
Die Leibesübungen führten ihn im ganzen Raum umher. Er übte Ausfälle und Tritte. Ein Schritt brachte ihn in die Nähe des alten Mannes, so wie schon vorher, aber diesmal schoß die alte Klaue vor und packte Enders linkes Bein mitten in einem Tritt. Er riß Ender von den Füßen und setzte ihn schwer auf dem Boden ab.
Sofort sprang Ender auf die Füße, wütend. Er fand den alten Mann ruhig, mit gekreuzten Beinen dasitzen, nicht schwer atmend, so, als hätte er sich überhaupt nicht bewegt. Angriffsbereit ausbalanciert stand Ender da, aber die Reglosigkeit des anderen machte es ihm unmöglich anzugreifen. Was sollte er denn tun, dem alten Mann den Kopf wegtreten? Und es dann Graff erklären - ach, der alte Mann hat mich getreten, und ich mußte es ihm heimzahlen.
Er machte sich wieder an seine Übungen; der alte Mann sah weiter zu.
Schließlich, müde und wütend angesichts dieses vergeudeten Tages, ein Gefangener in seinem Zimmer, ging Ender zurück zu seinem Bett, um sein Pult zu holen. Als er sich vornüber beugte, um das Pult hochzuheben, spürte er eine Hand grob zwischen seine Schenkel fahren und eine andere Hand seine Haare packen. Im Nu war er auf den Kopf gestellt. Sein Gesicht und seine Schultern wurden vom Knie des alten Mannes in den Boden gedrückt, während sein Rücken unerträglich gebogen war und seine Beine von den Armen des alten Mannes festgehalten wurden. Ender war hilflos, konnte seine Arme nicht benutzen, er konnte den Rücken nicht beugen, um Raum zu gewinnen, um seine Beine zu benutzen. In weniger als zwei Sekunden hatte der alte Mann Ender Wiggin vollständig besiegt.
»Okay«, keuchte Ender. »Sie haben gewonnen.«
Das Knie des Mannes drückte schmerzhaft nach unten. »Seit wann«, fragte der Mann mit leiser, schnarrender Stimme, »muß man dem Feind sagen, daß er gewonnen hat?«
Ender blieb stumm.
»Ich habe dich einmal überrascht, Ender Wiggin. Warum hast du mich nicht sofort danach vernichtet? Nur, weil ich friedlich aussehe? Du hast mir den Rücken zugekehrt. Dumm. Du hast nichts gelernt. Du hast nie einen Lehrer gehabt.«
Ender war jetzt wütend und machte keinen Versuch, es zu kontrollieren oder zu verbergen. »Ich habe zu viele Lehrer gehabt, wie sollte ich denn wissen, daß Sie sich als ein ...«
»Ein Feind erweisen würde, Ender Wiggin«, flüsterte der alte Mann. »Ich bin dein Feind, der erste, der klüger war als du. Es gibt keinen Lehrer außer dem Feind. Niemand als der Feind verrät dir, was der Feind tun wird. Niemand als der Feind wird dich jemals lehren, wie man zerstört und erobert. Nur der Feind zeigt dir, wo er stark ist. Und die einzigen Regeln des Spiels sind, was du ihm antun kannst und wovon du ihn abhalten kannst, es dir anzutun. Ich bin von jetzt an dein Feind. Von jetzt an bin ich dein Lehrer.«
Dann ließ der alte Mann Enders Beine fallen. Da er immer noch Enders Kopf gegen den Boden hielt, konnte der Junge seine Arme nicht dazu benutzen, um den Fall auszugleichen, und seine Beine schlugen mit einem lauten Knall und einem gräßlichen Schmerz auf den Bodenbelag. Dann erhob sich der alte Mann und ließ Ender aufstehen.
Langsam
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