Das Hades Labyrinth (German Edition)
liebte er seine äußerliche Veränderung. Er genoss seine Isolation von anderen Menschen, sprach nicht mit den Patienten, denen er im Gang oder im Park der Klinik begegnete. Entweder hielt er sich in seinem Zimmer auf und las, oder er spazierte durch den naheliegenden Wald, saß auf einem Stuhl neben einem wild wuchernden Rhododendrenbusch und ließ sich von der Sonne bräunen. Seine ehemals weiße und an vielen Stellen rosafarbene Haut hatte inzwischen eine tiefbraune Farbe angenommen, die die Entstellungen etwas angenehmer machten, ohne sie verbergen zu können.
Was mache ich bloß mit dir?, fragte sich Neever im Stillen. Ich weiß, du leidest, aber noch ist dein Leid eine Mauer, die dich vor der Welt schützt. Was wird sein, wenn die Welt sich nicht mehr aussperren lässt? Du kannst nicht für immer mit geschlossenen Augen in der Sonne sitzen und dir vormachen, nichts und niemand existiere. Du existierst, dass Licht, das durch deine Lider dringt, existiert und das Leben will dich wieder haben. Dein Körper erholt sich und dein Geist muss ihm folgen oder du wirst nie wieder eins sein, nur noch zwei Teile eines ehemals größeren Ganzen. Sprich mit mir. Erzähl mir von deinem Leid. Lass mich teilhaben. Lass mich ein Stück deiner Traurigkeit tragen.
Aber Jan Neever wusste, dies würde nicht geschehen. So fasste er einen Entschluss. Seine Hand griff nach dem Telefonhörer und tippte eine Nummer ein, die er von einem handgeschriebenen Zettel ablas.
„Rauschgiftdezernat. Andreas Dormark“, meldete sich eine dunkle Stimme.
„Hier ist Neever.“
Ein Moment Schweigen. „Wer bitte?“
„Dr. Jan Neever von der...“
„Ah“, unterbrach ihn der andere. „Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie nicht gleich einordnen konnte.“
„Es geht um Fischer.“
Erneutes Schweigen. Neever wusste von der Freundschaft, die den Dezernatsleiter in der Landespolizeidirektion mit seinem Patienten verband. Dormark hatte Daniel Fischer mehrfach besucht und war stets frustriert nach wenigen Minuten wieder gegangen, da sich sein Freund weigerte, mit ihm zu sprechen.
„Was ist mit ihm?“, fragte er leise, fast schüchtern. „Geht es Daniel gut?“
„Nein“, erklärte Neever nüchtern. „Es geht ihm nicht besonders gut, auch wenn er selbst anderer Meinung ist.“
„Was meinen Sie damit?“
„Fischer ist glücklich. In seinen Augen glücklich, aber dies ist kein wahres Glück, sondern nur eine pervertierte Lust am eigenen Leid.“
„Ich verstehe nicht...“
„Er macht keine Forschritte, weil er keine machen will. Fischer will nur eines, leiden und das möglichst allein.“
„Sie klingen seltsam für einen Psychiater“, sagte Dormark. „Fast zornig.“
Nein, er war nicht zornig. Er war ohnmächtig und es war an der Zeit, sich diese Ohnmacht einzugestehen und zu handeln.
„Entschuldigen Sie bitte und nein, ich bin nicht zornig, aber ich habe einen Entschluss gefasst.“
„Welchen?“
„Ich möchte Daniel Fischer diensttauglich schreiben und entlassen.“
Dormark sog hörbar die Luft ein. „Glauben Sie, er ist schon soweit?“
„Nein, aber ausschlaggebend ist, dass er diesen Ort nutzt, um sich vor der Welt zu verstecken und ich möchte ihm diese Möglichkeit nehmen.“
„Ich verstehe, Sie denken, wenn er in seine gewohnte Umgebung zurückkehrt, bleibt ihm keine Wahl. Er muss sich mit dem Geschehenen auseinandersetzen, ob er daran gesundet oder zerbricht.“
„Sie haben ein gutes Gespür.“
„Kann er daran zerbrechen?“
„Ist er das nicht schon?“
„Aber hier sind andere Menschen von ihm abhängig. In diesem stressigen Beruf muss man funktionieren. Ich denke nicht...“
„Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich möchte nicht, dass er seinen gewohnten Dienst aufnimmt. Dazu wäre er gar nicht in der Lage, außerdem ist seine Medikation weiterhin sehr hoch. Nein, ich dachte an den Innendienst.“
„Sie kennen sich nicht besonders gut mit dem Polizeidienst aus, nicht wahr?“, fragte Dormark.
„Nein. Sagen Sie mir, was dagegen spricht.“
Dormark zögerte, aber seine Stimme klang fest, als er antwortete: „Daniel ist Ermittler, kein Innendienstmitarbeiter. Was soll er machen? Die Akten seiner Kollegen sortieren, Schreibtische abstauben und die Papierkörbe leeren? Glauben Sie, das würde ihm helfen, wieder auf die Beine zu kommen?“
„Natürlich nicht, aber ich bin mir sicher, in einer Dienststelle ihrer Größenordnung gibt es eine Tätigkeit, die es Fischer ermöglicht, wieder in
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