Tod auf der Venus
1.
»Chet, hier spricht Orbiter. Kannst du uns verstehen?«
»Laut und deutlich. Was braut sich zusammen?«
»Nichts. Ich wollte dir nur sagen, daß dein Ziel direkt hinter dem nächsten Kamm liegt. Noch ein Aufstieg, dann bist du dort. Heb die Füßchen, dann kommst du genau zum Mittagessen hin. Geht alles klar?«
»Eine ganze Menge. Dankeschön. Ende.«
Chet Duncan wußte, daß die Kameraden, die hoch über der Mondoberfläche mit ihrem Mutterschiff im Orbit kreisten, nur deshalb so flapsig waren, weil sie ihn damit ermuntern wollten. Das erkannte er an, aber er war entsetzlich müde, und er wollte keine Energie mit überflüssigen Redensarten verschwenden. Seit Stunden schon stapfte er über die knochentrockene Mondoberfläche, und es war wirkliche Schwerarbeit, die er leistete. Theoretisch hätte es ein müheloser Spaziergang sein können, denn bei einem Sechstel der irdischen Schwerkraft wäre jeder Schritt ein Hüpfer gewesen. Wie üblich klaffte auch hier eine gewaltige Lücke zwischen Theorie und Praxis. Man hatte ja schließlich mit der Weltraumbehörde der Vereinigten Staaten zu tun, und das war eine Bundesdienststelle, die an ihre Spezialisten ungeheure Anforderungen stellte.
Um im Raum zu überleben, brauchte man eine ganze Menge an Ausrüstung; und natürlich wurde von einem erwartet, daß man genau auf die Art überlebte, die vom Amt gutgeheißen und erprobt war. Daher wurden die Vorteile aus einer wesentlich geringeren Schwerkraft damit mehr als ausgeglichen, daß man mindestens die sechsfache Ausrüstung mitzuschleppen hatte wie auf der Erde. Der unbequeme Raumanzug mit dem schweren Helm, die Sauerstoffbehälter, das umfangreiche Klimagerät, der Wiederverwertungsapparat, dazu die nötigen Batterien, das Verständigungsgerät, Notrationen, dies und das und sonst noch alles mögliche – Chet schwitzte jedenfalls unter seiner Last. Aber er hatte den leeren Krater durchquert, und zwischen ihm und seinem Ziel stand nur noch die Kraterwand.
Er stapfte weiter, setzte einen Fuß vor den anderen und begann den steilen Hang zu ersteigen, hinter dessen Oberkante das Ziel lag. Im linken Ohr hatte er die Welle von Jim Holmes, der sein Ziel war. Jims Befehl hatte dahingehend gelautet, daß er mit dem recht unbeholfen wirkenden, aber sehr leistungsfähigen Moonwalker eine ganz bestimmte Strecke zurückzulegen hatte, und plötzlich hatte die Maschine nicht mehr mitgetan. Chet hoffte, sie wieder in Bewegung setzen zu können.
Mit dem rechten Ohr empfing er die Wellenlänge vom Mutterschiff, das später alle wieder zur Erde zurückbringen sollte. Man mußte sich schon daran gewöhnen, zwei verschiedene Kanäle gleichzeitig zu empfangen, aber dafür hatte seine Ausbildung gesorgt. Jetzt konnte er gleichzeitig zwei Unterhaltungen mit anhören und auch beide erfassen.
Das Mikrophon im Helm übermittelte seine Worte dem Mutterschiff, das sie nach Empfang über Relais an jeden beliebigen Punkt der Mondoberfläche oder, falls gewünscht, zur Erdbasis strahlte.
Chet rechnete sich aus, daß er in knapp zwei Stunden den Kraterrand erreichen müßte, wenn er im gleichen Tempo weiterginge. Von dort aus war es dann nur noch so etwas wie eine Rutschbahn zum Moonwalker. Er hatte keine rechte Ahnung, weshalb das Gefährt plötzlich nicht mehr wollte, weil Jim, der großartige Geologe, ein hoffnungsloser Fall war, wenn es um technische Dinge ging. War es nur der Scherbolzen, wie Chet vermutete, dann brauchte er nicht länger als eine Viertelstunde. War es aber etwas anderes, dann mußte er erst etliche Tests machen und hoffen, die Ursache der Panne schnell zu entdecken und seinem Glück vertrauen, daß es nicht gerade ein Teil war, für das es keinen Ersatz gab.
Als er den steilen Hang hinaufkeuchte, wurde sich Chet dessen staunend bewußt, daß nicht der Fehlschlag der Mission ihn am meisten beschäftigte, falls er das Gefährt nicht reparieren könnte, sondern der Umstand, daß er dann den ganzen Weg bis dorthin zu Fuß zurückzulegen hatte, wo das Mutterschiff ihn aufnehmen würde. Er hatte aber nicht die geringste Lust, sich diese Aussicht in allen Einzelheiten auszumalen, sondern er konzentrierte sich lieber auf das, was er in seinem linken Ohr aufnahm. Es geschah oft, daß das Basislager Erde die internationalen Nachrichten durchgab; so auch jetzt:
»In Moskau wurde heute offiziell mitgeteilt, daß ein Kosmonautenteam unter der Leitung von Kommandant Raffalowitsch auf dem Planeten Venus gelandet ist.«
Chet
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