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Das Hades Labyrinth (German Edition)

Das Hades Labyrinth (German Edition)

Titel: Das Hades Labyrinth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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die Sicherheit und Routine des Alltags zu finden. Außerdem glaube ich, der Umgang mit seinen alten Kollegen würde ihm gut tun.“
    „Sie meinen, ihn aus der Reserve locken.“
    „Nennen Sie es, wie Sie wollen.“
    „Sie wissen, was Sie da von mir verlangen?“
    „Ja.“
    „Wenn Ihr kleines Experiment schief geht...“ Den Rest ließ Dormark unausgesprochen.
    „Ja, ich weiß.“
    „Gut, ich melde mich bei Ihnen.“
    Die Verbindung wurde unterbrochen.
     
     
    Daniel Fischer spürte die warmen Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht. Der intensive Geruch der blühenden Holunderbüsche kitzelte in seiner Nase. Irgendwo sang eine Amsel, verkündete mit ihrem Gesang den Anspruch auf dieses Gebiet. Zufrieden atmete er langsam ein und wieder aus. Seine Hände ruhten in seinem Schoß, als warteten sie darauf, benutzt zu werden, aber Daniel zwang sich stillzuhalten.
    Bewege dich nicht, dachte er. Sei ein Stein.
    Diese Übung machte er jeden Tag mindestens ein Mal. Es war sein Weg, mit dem Zittern umzugehen, das ihn von Zeit zu Zeit überfiel. Meist begann es mit einem leichten Vibrieren in seiner Brust. Das Schlagen seines Herzens wurde ihm bewusst und eine merkwürdige Schwäche befiel seine Beine. Danach folgten Schwindelgefühle und die Angst, die Kontrolle zu verlieren. Agoraphobie war ein nichtssagender, medizinischer Ausdruck für die Panikattacken, die dann durch seinen Körper rasten und er sich fühlte, als würde er ohne Halt durch die Luft gewirbelt.
    Die Medikamente, die sie ihm gaben, waren lediglich eine Krücke, mit der er durch das Leben humpelte. Sie konnten die Angst nicht vertreiben, die Angst nicht besiegen. Also versuchte Fischer mit der Angst klarzukommen, indem er sich in einen Fels verwandelte. Reglos, unerschütterlich, trotzend.
    Meine Arme sind aus Stein. Grau, schwarz gesprenkelt, kantig und zerklüftet. Das darin enthaltene Eisen oxidiert, verwandelt manche Stelle in blutrote Spuren. Moos wächst auf mir. Flechten bedecken mich. Meine Arme sind aus Stein.
    Seine Ohren, die noch Ohren waren, verrieten ihm, dass sich Schritte näherten. Langsam Schritte. Ein Patient. Keiner dieser ständig gehetzten Ärzte. Jemand blieb vor ihm stehen. Fischer spürte, dass er betrachtet wurde.
    „Hallo“, sagte eine Stimme. „Ist der Platz hier noch frei?“
    Fischer erhob sich wortlos und hinkte davon. Er war kein Felsen mehr.
     
     
    Fischer betrat Neevers Besprechungszimmer auf die ihm eigene Art. Er öffnete Tür ohne anzuklopfen. Dann trat er mit drei großen Schritten ein, als gelte es, eine bestimmte Distanz schnell zu überbrücken. Sein rechtes Bein zog er dabei nach wie einen Fremdkörper, den er zufällig mit sich herumschleppte. Anschließend blieb er stehen und blickte sich um.
    Sein Therapeut hatte an dem kleinen, runden Tisch Platz genommen, von dem Fischer vermutete, er solle eine gewisse räumliche Distanz schaffen. Nur ein Schreibblock mit jungfräulich unbefleckten Seiten und ein schwarzer Kugelschreiber lagen darauf bereit, sein Leben schriftlich festzuhalten. Hingekritzelte Worte sollten seine Angst, seinen Leidensweg und seine Fortschritte beschreiben, aber in Fischers Augen gab es nichts zu beschreiben. Er war vollkommen.
    Das Zimmer war nüchtern und sachlich eingerichtet. Metallene Regale glänzten silbern im einfallenden Licht. Schwarze Lederstühle mit Stützen aus Chrom drängten sich wie eine verirrte Schafherde um einen weiteren Tisch in der Ecke des Zimmers. Gruppentherapie. An den Wänden hingen farbige Drucke bekannter Impressionisten. Eduard Monet, Claude Monet, Renoir, dazwischen Caspar Davids „Kreidefelsen“. Aus Daniels Sicht eine typisch geschmacklose Auswahl für ein Praxiszimmer.
    Wie immer war es etwas kühl im Zimmer. Zum wiederholten Male stellte Daniel fest, dass dieser Raum keinen Geruch besaß. Es roch nach nichts, so als hätte niemand jemals eine Spur hinterlassen.
    Dr. Neever blickte von den Unterlagen auf, die er eben noch durchgelesen hatte. „Sie sind zu früh.“
    „Ich trage keine Uhr, wie Sie wissen. Soll ich draußen warten?“
    „Nein. Nehmen Sie Platz.“
    Daniel setzte sich auf den Stuhl, auf dem er stets saß. In seinem Rücken befand sich eine bequem aussehende Couch mit braunem Stoffbezug. Neever hatte ihn nie aufgefordert, sich hinzulegen, wenn sie ihre Gespräche führten und Daniel wusste nicht einmal, ob die Couch bei Therapiesitzungen tatsächlich genutzt wurde oder ob sie bloße Dekoration war, die dem sachlich nüchternen Raum eine

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