Das Hades Labyrinth (German Edition)
wohnliche Note geben sollte.
Der Arzt schloss den Schnellhefter, erhob sich, ging zu ihm herüber und reichte ihm die Hand.
„Wie geht es Ihnen heute?“, fragte er, während er auf der anderen Seite des Tisches Platz nahm.
Das Ritual, dachte Fischer. Dem Ritual muss Genüge getan werden. Es geht mir wie gestern, wie letzte Woche und all die Wochen davor.
„Gut“, sagte Daniel knapp.
Neever hob eine Augenbraue, wie er es immer tat, wenn er eine seiner Aussagen bezweifelte, aber er behielt seine Meinung für sich.
„Heute ist unsere letzte Sitzung“, sagte er ruhig.
Fischer war überrascht, aber er verbarg seine Gefühle. „So?“
„Ich bin der Meinung, dass Sie hier bei uns keine weiteren Fortschritte machen und deshalb werde Sie aus der stationären Behandlung entlassen. Ambulant führen wir Ihre Therapie natürlich weiter.“
„Das bedeutet?“
„Ein Kollege von mir übernimmt Ihre Behandlung und Ihre Medikation.“
„Warum?“
„Es ist an der Zeit, etwas zu verändern und ich glaube, ein neuer Gesprächspartner könnte Ihnen helfen. Unsere gemeinsame Arbeit zeigt keinerlei Fortschritte. Wir drehen uns im Kreis.“
„Und wenn mir der andere Therapeut nicht zusagt?“
„Dann wechseln Sie ihn. Vorerst wurden drei Probesitzungen vereinbart, danach entscheiden Sie.“
Fischer legte den Kopf schief und sah den Arzt an.
„Ich gehe also nach Hause“, stellte er ruhig fest.
„Ja. Morgen unterschreibe ich Ihre Entlassungspapiere. Sie haben ausreichend Zeit zu packen und sich zu verabschieden, falls es jemanden gibt, von dem Sie sich verabschieden möchten.“
„Höre ich da Sarkasmus aus Ihrer Stimme?“
„Ich bin beruflich niemals sarkastisch. Derartige Gefühle gönne ich mir nur privat. Sind Sie mit meiner Entscheidung etwa nicht einverstanden?“
Fischer schwieg einen Moment, dann sagte er: „Und wenn ich hier bleiben möchte?“
Der Arzt lehnte sich im Stuhl zurück. Sein Blick verriet Verständnis.
„Dies ist nur ein winzig kleiner Teil der Welt. Sie können sich hier nicht auf Dauer vor dem Leben verstecken. Leben will gelebt werden. Und wenn Sie noch so oft die Augen schließen, die Welt verschwindet nicht.“ Seine Hand deutete auf das Fenster. „Das da draußen bleibt.“
„Sie denken, ich wäre unglücklich, aber Sie täuschen sich“, widersprach Daniel. „Ich bin frei.“
Neevers Augenbraue zuckte wieder nach oben.
„Sehen Sie mich an“, verlangte Fischer. „Mein Gesicht, mein Körper sind zerstört. Niemand will etwas von mir. Es ist egal, ob meine Haare ungekämmt sind oder ich nach Schweiß rieche. Nichts kann diese Hässlichkeit übertreffen, dahinter steht alles zurück. Ich bin ein Krüppel mit Beinprothese. Ich muss nicht mehr funktionieren. Die schöne Welt, von der Sie sagen, sie existiere da draußen weiter, interessiert sich nicht mehr für mich. Ich bin ein Neutrum, das man anblickt, um sich dann schnell wieder abzuwenden. Ich sehe nicht mehr wie ein Mensch aus, also bin ich auch keiner mehr. Meine Artgenossen erkennen mich nicht als einen der ihren und sie sehen weg, weil ich sie an die Sterblichkeit erinnere, die hinter allem Leben lauert. Also bin ich frei. Ich muss nicht mehr an all den Sorgen und Problemen da draußen teilnehmen.“
„Und das nennen Sie Freiheit?“, widersprach Neever heftig. „Sie haben sich ein Gefängnis erschaffen und sich selbst darin eingewiesen. Sie waren Richter und Verurteilter zugleich. Eine Chance auf Bewährung haben Sie von Anfang an abgelehnt. Woher wollen Sie wissen, ob sich die Welt noch für Sie interessiert? Sie haben es doch nie auf einen Versuch angekommen lassen. All ihre Freunde und Kollegen, die Sie besuchen wollten, haben Sie brüskiert. Die Welt hat Ihnen die Hand gereicht, aber Sie haben diese Hilfe ausgeschlagen, also kommen Sie mir jetzt nicht mit dieser verquerten Selbstmitleidstour.“
Daniel erhob sich. „Dann ist alles gesagt.“
Neever blieb ruhig sitzen. Seine Hände falteten sich vor seinem Bauch. „Ich habe Sie diensttauglich geschrieben und mit Ihrem Vorgesetzten gesprochen. Er wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen.“
Fischer zögerte, als wolle er noch etwas sagen, dann verließ er das Zimmer.
2. Dieses Monster in Menschengestalt.
Seine Wohnung roch muffig, als Daniel die Tür öffnete und ging den Flur entlang. Fast achtzehn Monate war er nicht mehr hier gewesen. Nun fühlte er sich wie ein Fremder, dem jemand für eine Übernachtung die Schlüssel in die Hand
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