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Das Haus am Abgrund

Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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winkte ihm schwach zu. Mit Jamie Hewett? Sie geht mit Jamie Hewett nach Neuseeland?
    Der Roshi stieß mich an. »Hör zu«, flüsterte er. »Du kannst nur einmal wählen!«
    »Du hast es selbst in der Hand.« Toby steht in Hut und Mantel in der Tür. »Ich habe dir jede nur erdenkbare Chance gegeben. Ich kann nicht mehr.« Er dreht sich um. »Du solltest dir Hilfe suchen. Professionelle Hilfe. Ich kann dir nur diesen Rat geben. I ch halte es jedenfalls nicht mehr aus. Wenn du dich unbedingt totsaufen willst, dann ist das deine Entscheidung.« Er wirft noch einen Blick zurück, sein Gesicht ist fremd und distanziert. »Aber du bringst ihn damit nicht zurück. Er hätte das nicht gewollt, Jonathan.«
    Die Tür schlägt zu. Es klingt wie ein zufallender Sargdeckel.
    Der Mann am Tisch vergräbt das Gesicht in den Händen.
    Ich zitterte. Ich stand in der Nacht, im Licht des untergehenden Mondes, über mir deutete ein heller werdender Himmel das Nahen der Morgendämmerung an. Ich hätte mich am liebsten irgendwohin verkrochen.
    »Das sind die Alternativen?«, sagte ich zu Moriarty. »Nichts anderes? Ich lebe weiter, aber ohne November – oder ich bin schuld daran, dass Jonathan vor die Hunde geht? Was ist denn das für eine Auswahl?«
    Der Bestattungsunternehmer steckte sein Büchlein fort und rückte den Zylinder zurecht. Dann zog er eine Uhr aus der Tasche, ließ sie aufspringen und blickte ostentativ darauf. »Also bitte? Ihre Entscheidung, Master Adrian?«
    Ich wendete mich fragend zum Roshi. Der erwiderte meinen Blick so ausdruckslos, dass sein Gesicht wie eine dieser japanischen Theatermasken wirkte. Der Joker machte Grimassen über seine Schulter. »Lass dich nicht irremachen, Kumpel«, zischelte er und warf einen übertrieben geheimnistuerischen Blick zu Moriarty. »Junge, die wollen dich nur reinlegen, glaub mir das doch!«
    Ich vergrub das Gesicht in den Händen. »Wenn ich mit Ihnen gehe«, sagte ich, »sehe ich dann November wieder?«
    » Diese Auskunft darf ich Ihnen nicht geben«, erwiderte er pedantisch.
    »Klar siehst du sie wieder«, warf der Joker ein. »Das ist so klar wie nur was. Sie wartet schließlich dort auf dich.«
    November. Meine November. Für sie war ich hundert Tode gestorben. Sie wartete dort drüben auf mich.
    »Adrian«, sagte Samhain. Sie stand so still und reglos dort am Rand der Klippe, dass ich sie vollkommen vergessen hatte. »Adrian, sie hat schon so lange gewartet.« Ich hob den Kopf und der Roshi nickte beinahe unmerklich. »Wir haben darüber gesprochen, Êdorian«, sagte er.
    Ich holte tief Luft und lachte. Klopfte dem Joker auf die Schulter. Der grinste und schnippte mit den Fingern.
    »Mr Moriarty«, sagte ich. »Danke, dass Sie mir meine Rechte vorgelesen haben. Ich möchte der Direktion hiermit meine Entscheidung mitteilen.«
    Azrael, der Todesengel, stand vor mir, groß wie ein Baum, schwarz wie die verdämmernde Nacht, mit Flügeln, in deren Gefieder in allen Schattierungen der Nacht kleine Sterne blitzten. Sein Schwert war schwarz und so scharf, dass es den Wind in Streifen schnitt. Er sah mich ernst an, aber ein winziges Lächeln verbarg sich in seinen Mundwinkeln.
    »Ich bleibe«, sagte ich.
    Azrael nickte. »Ich habe deine Entscheidung vernommen, Adrian Smollett. Sie wird hiermit ins Buch eingetragen.« Er hob die Hand, als wollte er einen Vorhang beiseiteschieben.
    »Einen Moment noch«, rief Samhain. Sie nahm meine Hand und zog mich beiseite. »Ich grüße sie von dir«, sagte sie. »Ich freue mich darauf, sie endlich wiederzusehen. Wir waren so lan g e getrennt.« Sie lächelte mich an und küsste mich auf die Wange, federleicht. »Danke für alles, Adrian. Und wir warten auf dich. Wir haben alle Zeit der Welt.«
    Sie ließ mich los und winkte dem Engel zu. »Gehen wir also, Mr Moriarty.«
    »Sehr wohl, Mistress Samhain«, erwiderte der Bestattungsunternehmer. Er lüpfte seinen Zylinder in meine Richtung und sagte mit grämlicher Miene: »Ich erwarte Sie dann später, Master Adrian.« Er reichte Sam den Arm, sie hängte sich bei ihm ein.
    Ich sah zu, wie die beiden über die Klippe traten. Die langsam verglühende Bahn aus Mondlicht trug sie wie eine Brücke, die sich über das Meer spannte. Während sie darauf entlangschritten, verblassten ihre Gestalten und verschwanden. Sie waren fort.
    Am Horizont glänzte der Widerschein der aufgehenden Sonne und tauchte den Himmel in geisterhafte Farben. Ich sah noch eine Weile aufs Meer, dann drehte ich mich um. Nach Hause.

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