Das Haus an der Klippe
Diwan mit weichen Fellen und verknüllten Seidentüchern erspähen, auf dem frisch und rosig wie ein Frühlingsmorgen, eine liebliche Gestalt ruhte.
»Ich stecke mein Schwert weg«, entgegnete Äneas vorwurfsvoll, »sobald ich weiß, was sich in Wahrheit zwischen euch beiden da drinnen abgespielt hat.«
»Bist du denn kein erwachsener Mann? Gebrauch deine Phantasie. Ein Ehrenmann genießt und schweigt, vor allem, wenn es um eine Göttin geht. Komm, wir müssen los. Uns bleibt nicht viel Zeit.«
Odysseus schritt davon. Wütend schickte sich Äneas an, ihm zu folgen. Da drehte sich der dicke Grieche um und sagte: »Vergiß deinen Mantel nicht. Du willst dich doch nicht erkälten, oder?«
Plötzlich merkte Äneas, daß ihn fröstelte. Der Wind war wieder aufgelebt, und als er aufblickte, sah er, daß der Himmel sich wieder zugezogen hatte und nun mit dem Einbruch der Dämmerung dunkler denn je war. Er warf einen Blick zurück. Die Grotte mit dem schützenden Weinstock, die üppigen Wälder, die kristallklaren Quellen, die grünenden Wiesen, alles war verschwunden, und statt dessen erstreckte sich wie zuvor die trostlose grauschwarze Felslandschaft vor seinen Augen.
Er griff nach seinem Mantel und eilte Odysseus nach.
»Wohin gehen wir?« fragte er. »Dies ist nicht der Weg zurück zum Lager.«
»Scheiß aufs Lager«, entgegnete Odysseus. »Wir gehen zu der kleinen Bucht, wo du deine Flotte in Sicherheit gebracht hast. Bald sinkt die Sonne, und dann ist es an der Zeit, diese Insel zu verlassen, das weißt du doch?«
Wieder zog Äneas das Schwert und schrie: »Was? Du glaubst wohl, du kannst deine Haut retten, indem du wegrennst?«
»Ich hatte eher an wegsegeln gedacht«, sagte Odysseus. »Beeil dich, oder du schaffst es nicht mehr.«
»Du bist verrückt«, entgegnete Äneas ruhig. »Glaubst du wirklich, ich werde mit dir fortsegeln und meinen Sohn und meinen Vater und all meine Gefährten ihrem Schicksal überlassen? Leb wohl, Grieche. Ich bedaure nur, daß ich nicht die Zeit habe, dich zu töten.«
Er drehte sich um und rannte in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
»Wo willst du hin?« brüllte Odysseus.
»Zurück zum Lager und mich dem Schicksal stellen, das meiner harrt«, rief der Trojaner über die Schulter.
»Aber da ist keiner mehr!« schrie Odysseus. »Sie haben zusammengepackt und sind aufgebrochen.«
Seine Stimme klang immerhin so überzeugt, daß Äneas stehenblieb.
»Was soll das heißen?« fragte er. »Wohin sind sie gegangen?«
»Hinunter zur Bucht, um die Schiffe seeklar zu machen, natürlich. Hört ihr Burschen einem eigentlich je zu? Kein Wunder, daß ihr den Krieg verloren habt. Jetzt komm endlich!«
Aber Äneas rührte sich noch immer nicht.
»Sie haben meinen Jungen zurückgelassen?« sagte er mit gebrochener Stimme.
»Sei nicht blöd. Er ist auch da unten. Aber sie lassen dich zurück, wenn du dich nicht bald ein bißchen bewegst. Komm schon. Lauf! Stell dir einfach vor, Achilles ist dir hinter her. Ich habe nie jemanden so schnell rennen sehen wie euch, wenn der Sohn der Thetis gewütet hat!«
Sie rannten, und bald war Äneas so außer Atem, daß er keine weiteren Fragen stellte.
Der Grieche hatte nicht gelogen. Am Strand und auf See herrschte reges Treiben. Auf den Schiffen wurden bereits die Segel gesetzt. Und das Beste war, als sie die Küste erreichten, eilte ihnen Achates entgegen, den kleinen Askanius an der Hand.
Als er seinen Vater sah, riß sich der Junge los und lief auf den Fürsten zu, der ihn stürmisch umarmte.
»Mein Sohn, mein Sohn!« rief er. »Warum bist du nicht in der Obhut deiner Amme?«
»Mach nicht so ein Theater, Vater«, entgegnete der Junge ungeduldig. »Und spute dich. Alle warten auf dich. Ich lauf schon mal und erzähle Großpapa, daß du da bist.«
Er befreite sich aus der Umarmung seines Vaters und sah zu Odysseus auf.
»Und wer bist du?« wollte er wissen.
»Ich? Ein Freund von Papa. Mit Namen Odysseus.«
»Red keinen Unsinn. Odysseus ist ein Schurke, und mein Vater würde ihn umbringen. Außerdem ist er drei Meter lang, hat einen Löwenkopf und einen Schlangenschwanz, und du bist nur ein dicker alter Mann. Jetzt beeile dich, Vater.«
Der Junge sprang davon.
»Netter Kerl«, meinte Odysseus. »Muß nur noch anständige Manieren lernen.«
Nun war auch Achates bei ihnen angelangt.
»Gut, daß du hier bist«, sagte er. »Ich habe deine Botschaft erhalten. Wir sind jetzt bereit zur Abfahrt.«
»Meine Botschaft?«
»Ja. Von der
Weitere Kostenlose Bücher