Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
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Da sitzen wir alle im Halbdunkel. Ein paar von den Klugen, mehr von denen, die sich für klug halten, einige von den Prominenten und auch welche, die Erfolg haben. Auf der Bühne ein Moderator, der viel und zu lange und selbstverliebt redet, so als ginge es nur um ihn. Literaturgala im Festsaal des Wiener Rathauses. Kaum ein Unterschied zu anderen Galas. Hier könnten auch abendlich verkleidete Installateure oder Gastronomen sitzen und auf eine Auszeichnung hoffen. Ich versuche dem zu folgen, was auf der Bühne passiert. Preisverleihung für die besten Jungendbücher. Sieben weitere Preiskategorien drohen. Ich nehme noch ein Mini-Salzstangerl aus dem Brotkorb und bestreiche es mit der längst zu weich gewordenen Butter. Ein weiß gedeckter runder Tisch neben dem andern. Acht Menschen um jeden. Mein Nachbar deutet auf die Weinflasche im Kühler. Ich nicke. Er ist Autor, hat er mir zugeflüstert. Selbst wenn ich schon einmal ein Buch von ihm gelesen haben sollte: Schwierig, einen zu erkennen, der sonst als Name auf einem Buchumschlag in Erscheinung tritt. Soll er nur nachschenken, das Beste, was ich momentan tun kann, ist trinken und dösen.
Ich bekomme ja keinen Preis. Ich bin bloß hier, weil ich an einem Buch mitarbeite. „Weis.heiten“. Ausgerechnet. Weis, Fernsehguru und Psychotherapeut mit eigenem Beratungszentrum, will seine gesammelten Weisheiten veröffentlichen. Ich bin keine Freundin von Heilslehren und esoterischen Welterklärungen, aber ich sollte ja ursprünglich auch nur Ungenauigkeiten korrigieren und etwas journalistischen Pep in den Text bringen. Das Ganze ist sehr gut bezahlt. Auch eine Chefreporterin vom „Magazin“ kann ab und zu etwas extra brauchen. Weis sitzt am selben Tisch wie ich. Wie immer ganz in Weiß, zur leichteren Wiedererkennbarkeit wahrscheinlich. Wenigstens trägt er hier keine seiner Roben wie im Weis.Zentrum, sondern einen weißen Leinenanzug. An sich ist er eher unscheinbar: kaum eins achtzig groß, schlank, fliehendes Kinn, Anfang fünfzig. Das Glänzendste an ihm ist seine spiegelblanke Glatze. Hat er wirklich keine Haare mehr oder rasiert er sich täglich gründlich den Kopf, weil es irgendwie zu seinem Image passt? Wo sonst noch ist er rasiert? Will ich eigentlich gar nicht wissen. Ich werde müde und schließe die Augen. Hat der Typ wirklich meditative Kräfte? Meditativ ist nicht gleichbedeutend mit einschläfernd, Mira. Müde machen das Dunkel im großen, festlichen Saal und dieser öde Moderator. Eigentlich managt er ja einen deutschen Privatsender, aber aus irgendeinem Grund glaubt er besser zu sein als die Showmaster und Witzereißer, die er bezahlt. Was ja an sich gar nicht so schwer wäre. Er ist geborener Österreicher. Ich wundere mich immer wieder, dass Leute wie er in Deutschland für charmant und clever gehalten werden. Heute Abend haben wir ihn am Hals. Neben Weis sitzt Ida Moylen. In etwa so alt wie ich, schlank, halblange dunkle Haare, schwarzes Kleid mit etwas zu viel Spitze, große, bunte Ohrgehänge aus Halbedelsteinen. In ihrem Verlag wird Weis’ neues Buch erscheinen. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, die beiden haben etwas miteinander. Dass eine Frau wie sie etwas an diesem weißen Gefühlsschaumschläger finden kann? Andererseits: Ihr Yom-Verlag gibt in erster Linie Lebenshilfebücher und Esoterisches heraus. Das verbindet wohl.
Den Typen am Nebentisch kenne ich. Einer der bekannteren Autoren, so einer, der auch immer wieder im „Magazin“ vorkommt. Mit einem neuen „Erfolgsbuch“, oder auch wenn er mit anderen bekannten Menschen einen Berg erklimmt oder mit einem Starkoch kocht. Promi-Autor eben. Er sieht so betont gelassen drein, dass man seine Anspannung förmlich riechen kann. Er ist für die Hauptkategorie „Literarische Neuerscheinung des Jahres“ nominiert. Pro Kategorie werden zehn Autoren nominiert, drei Preise gibt es und nur der erste zählt. Wer will schon hinter einem Kollegen gereiht sein? Außerdem: Nur beim ersten Preis gibt es Medienecho, noch mehr Bekanntheit und – hoffentlich – noch mehr verkaufte Bücher. Da hängt schon was dran. Und die persönliche Eitelkeit sowieso. Ich hab zu Beginn gleich viele falsche Begrüßungsbussibussis gesehen wie bei anderen Galas, wahrscheinlich haben sie alle von der Oscar-Nacht gelernt, selbst in Klein Wien. Nur dass im Literaturbetrieb auch die meisten Männer einander küssen. Weis lächelt milde. Ich glaube, diesen Gesichtsausdruck hat er sich anoperieren lassen.
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