Das Haus an der Klippe
Leben, dachte er. Wenn man daran arbeitet. Ein bißchen wie im Leben.
So, das wär’s, alles unter Dach und Fach.
Ich hätte nie gedacht, daß es ein Kapitel 4 geben würde.
Ich meine, jetzt, da ich eine so gut wie veröffentlichte Autorin bin – okay, so bald ist es auch wieder nicht, aber ich bin von einem Lektor zum Essen ausgeführt worden (er sah aus, als wäre er gerade mal drei Jahre älter als Rosie!), und ich habe einen unterschriebenen Vertrag in der Hand, und bald, ganz bald, wie mir mein kindlicher Lektor versichert, werde ich einen Scheck bekommen! Wenn man so viel erreicht hat, braucht man doch keine Schmusedecke mehr!
Außerdem sah das Kapitel 4, das ich geplant hatte, ursprünglich ganz anders aus. Nein, es sollte die reine Farce sein, die sich allmählich zum Fiasko steigert. Achämenides, der trojanische Trottel, wird von den Männern des Äneas über Bord geworfen, halbtot an die Küste gespült und von Kalypso gesund gepflegt, die seine im Delirium gefaselte Antwort auf die Frage, wer er sei, mißversteht und ihn für Achilles hält. Also wird er eine Art König, wie seine Mutter vorhergesagt hatte, und Äneas und die anderen können die Insel verlassen, weil die Nymphe auf sie verzichten kann, nachdem sie den Stocksteifen persönlich in den Fängen hat, und Odysseus macht den Trojanern weis, er wüßte die beste Route nach Italien, nur läßt er sie in die andere Richtung segeln, so daß sie schließlich in Karthago landen … so ungefähr.
Aber zunächst einmal habe ich festgestellt, daß ich, auch wenn ich meine Schmusedecke nicht mehr brauche, sie doch nicht unvollendet lassen kann.
Ich wette, die alte Penelope hat sich auch auf ihre Webarbeit gestürzt, nachdem das ganze Blut vom Palastfußboden gewaschen war und alles allmählich seinen geordneten Lauf nahm.
Und zweitens habe ich irgendwie meinen Weg verloren. Oder gefunden.
Ursprünglich wollte ich sie ein bißchen verarschen, diese Männer, diese
Helden,
und ihre heroischen Ambitionen, ihre verrückten Vorstellungen von Pflicht und Mut und Ehre, ihre absurden Rivalitäten und ihre ebenso absurden Loyalitäten, ich wollte sie in ihrer Lächerlichkeit vorführen.
Statt dessen wirken sie jetzt irgendwie … edelmütig?
Vielleicht ist männlicher Edelmut ja nichts anderes als die Kehrseite männlicher Dummheit.
Oder vielleicht sehe ich jetzt, nachdem ich eine Zeitlang in der Welt der Tat, der Fesseln, der körperlichen Angst, der Adrenalinschübe, der moralischen Verunsicherung, des Blutes und des Todes verbracht habe, vielleicht sehe ich jetzt manches mit anderen Augen.
Zuweilen ertappe ich mich selbst (und beobachte die anderen dabei), daß wir uns benehmen wie die erdichteten Gestalten aus meinem komisch-heroischen Epos.
Und zuweilen – oft in letzter Zeit – sehe ich, wie sich mein echter Mann wie … eine Frau benimmt?
Vielleicht ist das die Botschaft des Jahrtausends.
Bisexualität als der neue Hit.
Wie auch immer, hier bin ich, am Ende meiner Reise. Oder wenigstens im sicheren Hafen, bei einer Ruhepause vor der nächsten Etappe.
Und ich habe meine Fahrkarte. Ich bin jetzt eine richtige Schriftstellerin, nein, mehr als das, ein richtiger Mensch, der zufällig schreibt. Und oben, Peter weiß es noch nicht, befindet sich eine Abstellkammer, die er in ein Arbeitszimmer verwandeln wird, mit Bücherregalen vom Boden bis zur Decke, Büsten von Dickens und Jane Austen, hier und da ein Literaturpreis …
Natürlich habe ich Mum davon erzählt. Von meinem Triumph, meine ich. Nicht von meiner Heimsuchung. Obwohl ich den irrationalen Verdacht habe, daß in ein paar Jahren der Triumph zur Heimsuchung geworden sein wird. Und umgekehrt.
Mum war begeistert. »Warte nur, bis ich es deinem Vater erzähle«, sagte sie. »Was würde das bringen?« hätte ich beinahe erwidert, aber Gott oder dem Teufel sei Dank, ich hab’s mir verkniffen.
Statt dessen sagte ich: »Nein. Ich erzähle es ihm selbst, wenn ich ihn das nächste Mal besuche.« Das war ein paar Tage später. Und ich habe es ihm erzählt.
Er sagte: »Großartig, absolut großartig«, so wie er es vor ein paar Jahren gesagt hätte. Und er hat gelächelt. Dann hat er sich wieder in den verwirrten, etwas unsicheren Fremden verwandelt, an den ich mich allmählich gewöhne.
Zu Mum sagte ich, daß ich ihm mein Buch widmen werde. Und als sie weinte, habe ich auch geweint. Sentimental? Warum nicht? Aber auch egoistisch. Ich weiß nicht, wie viele Jahre lang ich diesen
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