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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Augen. »Lilja, deine Schwester hat sich vor zehn Jahren umgebracht. Daran ist niemand schuld. Ich verspreche dir, dass ich nicht mehr bei dir auftauchen werde, bis du mich selbst einlädst. Aber beantworte mir eine einzige Frage: Was hat sich geändert? Warum gibst du plötzlich jemandem die Schuld an ihrem Tod?«
    Sie antwortete nicht, packte die Zeitschrift sorgfältig in eine Plastiktüte, stand auf und ging.
    Der Kellner kam, um die Tasse mit dem erkalteten, unangerührten Kaffee abzuräumen, und hörte den Mann sagen: »Miststück … Zicke … Ich hasse sie …«
     
    Früh um halb vier überfuhr ein Streifenwagen der Miliz in einer menschenleeren Gasse in einem als relativ ruhig geltenden Schlafbezirk um ein Haar eine Frau. Die Männer brauchten eine Pause. Eben hatte das Gewitter aufgehört, aber es regnete noch immer und war merklich kühler geworden. Im Wagen war es warm und gemütlich. Unterleutnant Teletschkin hatte eine Zweiliterthermoskanne mit starkem Kaffee dabei, Hauptmann Krasnow ein geräuchertes Hähnchen. Sie wollten in einem Hof parken und etwas essen.
    Die Frau tauchte ganz plötzlich auf, wie aus dem Nichts. Der Fahrer konnte gerade noch bremsen. Die Frau erstarrte mitten auf der Fahrbahn und rührte sich nicht, reagierte weder auf das Kreischen der Bremsen noch auf die grellen, blendenden Scheinwerfer oder auf den Schrei des Fahrers. Sie war in ein weites, helles Gewand gehüllt und wirkte im leblosen Scheinwerferlicht und im zitternden Regenschleier wie ein Gespenst.
    »Steig mal aus, Kolja, sieh nach, was los ist«, befahl Hauptmann Krasnow dem Unterleutnant.
    »Die ist stoned oder besoffen«, knurrte Kolja. »Wegen so einer dummen Kuh raus in den Regen …« Als er näher heran war, entdeckte er, dass es ein Mädchen war, vielleicht fünfzehn, barfuß, in einer Art Kittel oder Nachthemd.
    »Klar, die ist stoned«, wiederholte der Unterleutnant und fragte: »He, bist du lebensmüde oder was?«
    »Ich habe Tante Lilja getötet«, sagte das Mädchen langsam, die irren Augen auf den Milizionär gerichtet. Sie hatte einen Sprachfehler und eine helle Kinderstimme.
    »Was?«
    »Zweite Kalugaer Straße acht, Block zwei, Wohnung vierzig.«
    »Na schön, komm mit zum Wagen, wir klären das.« Er nahm ihren Arm, sie wehrte sich nicht, stieg folgsam ins Auto und wiederholte laut: »Ich habe Tante Lilja getötet.«
    »Wie alt bist du?«, erkundigte sich Hauptmann Krasnow und verzog angeekelt das Gesicht. Das Mädchen roch merkwürdig. Zwiebeln, erriet der Hauptmann. Aber um so zu stinken, musste man ein ganzes Pfund davon essen.
    »Vierzehn«, antwortete das Mädchen und setzte nach einer kurzen Pause hinzu: »Ljussja Kolomejez.«
    »Also, wen hast du getötet, Ljussja Kolomejez?«
    »Tante Lilja. Sie liegt da in der Küche und bewegt sich nicht mehr. Jemand muss die Schnelle Hilfe rufen, aber ich hab Angst vor Ärzten.«
    »Wieso denn?«, fragte Teletschkin mit dümmlichem Lachen.
    »Die geben Spritzen. Das tut weh«, antwortete das Mädchen und ergänzte nachdenklich: »Sie sind böse und tun einem gern weh.«
    Der am Steuer sitzende Sergeant Surkow fing im Spiegel Krasnows Blick auf und verdrehte vielsagend die Augen.
    »Wer ist denn Tante Lilja?«
    »Na, meine Tante. Die Schwester von meiner Mama.«
    »Und wo ist deine Mama?«
    »Die ist tot«, erklärte das Mädchen und seufzte. »Schon lange, da war ich noch klein. Erst ist Mama gestorben, dann Oma. Ich hab nur noch Tante Lilja.«
    »Hast du einen Vater?«
    »Nö. Ich hab keinen. Nur Tante Lilja.«
    »Und wieso hast du dann deine Tante getötet, deine einzige Verwandte?«, fragte Teletschkin und räusperte sich.
    Das Mädchen schwieg.
    In der Gasse stand nur alle paar Meter eine Straßenlaterne, das Auto tauchte immer wieder aus dem Dunkel ins Licht, das Gesicht des Mädchens leuchtete auf und verschwand wieder, und dem Unterleutnant war mulmig zumute. Er konnte das Mädchen nicht richtig sehen, und sie wirkte auf ihn wie ein Zombie.
    Die Tür war offen. Überall brannte Licht. Es roch nach Sauberkeit, nach Lavendel und guter Seife. Eine ganz normale kleine Wohnung mit winzigem Flur und zwei hintereinander liegenden Zimmern. Von der Küchentür aus fiel der Blick auf zwei Füße in gemusterten Wollsocken.
    »Entschuldigung, könnten Sie bitte die Schuhe ausziehen? Draußen ist es schmutzig«, sagte das Mädchen mit heller Stimme und trat sich die nackten Füße sorgfältig an der Fußmatte ab.
    »Was?«, fragte Krasnow und entdeckte auf ihrer

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