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Das Haus der Madame Rose

Das Haus der Madame Rose

Titel: Das Haus der Madame Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatiana de Rosnay
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ausgeholfen. Das Leben hat es nicht gut mit mir gemeint. Ich habe meine Familie verloren, meinen Besitz, mein Haus und auch die meiste Hoffnung. Aber wenn ich mit Ihnen zusammen bin, habe ich das Gefühl, dass es doch noch ein bisschen Hoffnung gibt. Einen kleinen Hoffnungsschimmer. Selbst in dieser modernen, anstrengenden Welt, die ich nicht verstehe.«
    Das war zweifellos die längste Rede, die er je in meinem Beisein gehalten hatte. Ich war gerührt, wie Du Dir vorstellen kannst, und suchte krampfhaft nach den passenden Worten. Sie kamen nicht. Also strich ich nur über seinen Jackenärmel. Er nickte lächelnd. Aus seinen Augen sprach Trauer, vermischt mit Freude. Ich wollte ihn nach seiner Familie fragen, nach denen, die er verloren hatte. Aber zwischen ihm und mir gab es unterschwelliges Einvernehmen und gegenseitige Achtung. Wir mussten einander keine Fragen stellen. Wir brauchten keine Antworten.
    Ich wusste, dass ich in ihm den einen und einzigen Menschen gefunden hatte, der nie über mich urteilen würde. Denjenigen, der mich nicht aufhalten würde.

Die Arbeiten werden bald wieder aufgenommen , kündigte Gilbert an, als er mich nach Hause begleitete. Wir gingen langsam, die Straßen waren noch immer eisglatt. Alexandrine war weggegangen, als wir noch immer unten auf dem Fluss standen, sie hatte sich nicht verabschiedet. Sie hatte mich nicht ein einziges Mal angeblickt. Ich sah, wie sie wegging, nach Norden, ihr Rücken aufrecht und steif. An ihren Armen, die zackig und drohend an ihrer Seite schwangen, konnte ich sehen, wie wütend sie noch immer auf mich war. Käme sie zurück? Würde sie versuchen, mich aufzuhalten? Und was würde ich dann tun?
    Am Ende der Rue d’Erfurth, oder was davon übrig geblieben war, sahen wir einen Trupp Bauarbeiter. Gilbert musste mich mit List und Vorsicht zum Haus zurückschleusen. Er ist jetzt Essen holen gegangen, und ich sitze, noch immer in dem warmen, schweren Mantel, in meinem Versteck.
    Ich habe nicht viel Zeit. Ich will Dir aber alles erzählen, was Du wissen musst. Das ist nicht leicht. Also werde ich es mit einfachen Worten versuchen, so einfach wie möglich. Vergib mir.

Seinen vollen Namen habe ich nie erfahren . Man nannte ihn nur Monsieur Vincent, und ich bin nicht sicher, ob es sein Vorname oder Nachname war. Du erinnerst Dich bestimmt nicht an ihn. Für Dich war er ohne Bedeutung. Als es passierte, war ich dreißig Jahre alt. Maman Odette hatte uns drei Jahre zuvor verlassen, Violette war fast acht.
    Zum ersten Mal sah ich ihn am Brunnen, es war morgens, ich ging mit unserer Tochter spazieren. Mir fiel er nur auf, weil er mich anstarrte. Er saß mit ein paar anderen Männern, die ich nicht kannte, am Brunnen, ein untersetzter, sommersprossiger Typ mit hellem Haar und kantigem Kinn. Jünger als ich. Mir wurde schnell klar, dass er gern Frauen betrachtete. Er hatte etwas Vulgäres – vielleicht lag es an seiner Kleidung oder an seinem Benehmen.
    Ich mochte ihn von Anfang an nicht. Sein Blick verriet, dass man ihm nicht trauen konnte, ein falsches Lächeln zog sich über sein Gesicht. »Oh, der ist ein Charmeur«, flüsterte mir Madame Chanteloup über Deine gestärkten Hemden hinweg zu. »Wer?«, fragte ich, nur um sicherzugehen. »Der junge Bursche, dieser Monsieur Vincent. Er arbeitet bei Monsieur Jubert.« Immer wenn ich das Haus verließ, um auf den Markt zu gehen, meine Tochter zur Klavierstunde zu bringen oder Maman Odettes Grab zu besuchen, war er da, er stand in der Tür der Druckerei, als hätte er gewartet. Ich war mir sicher, dass er sich nach mir umsah. Er hatte so eine lüsterne Art, die mich anwiderte. Ich fühlte mich immer unwohl, wenn er in der Nähe war. Seine funkelnden Augen bohrten sich in meine.
    Was wollte dieser junge Mann? Warum passte er mich jeden Morgen ab, nur um ein paar Worte mit mir zu wechseln? Was erwartete er? Zuerst verstörte er mich so sehr, dass ich ihm aus dem Weg ging. Wenn ich auch nur seinen Schatten vor dem Haus sah, lief ich mit gesenktem Kopf schnell weiter, als hätte ich etwas Dringendes zu erledigen. Ich kann mich sogar erinnern, dass ich Dir sagte, wie sehr mich dieser Kerl irritierte, wenn er versuchte, mit mir ins Gespräch zu kommen. Du lachtest. Du fandest es sogar schmeichelhaft, dass dieser Junge hinter Deiner Frau her war: Das bedeutet doch, meine Rose ist noch immer hübsch, meine Rose ist noch immer anmutig, hast Du gesagt und mich liebevoll auf den Scheitel geküsst. Ich fand das gar nicht lustig.

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