Wildes Herz
1. KAPITEL
Mit pochendem Herzen und bäuchlings auf den glühend heißen Boden gepresst, spähte Janna Wayland den mit Gestrüpp bewachsenen Abhang hinunter und verfolgte, wie der hoch gewachsene Fremde nackt durch ein Spalier von Cacabels Indianerkriegern rannte, Abtrünnigen vom Stamm der Ute.
Das schafft er nie. Jannas Herz krampfte sich vor Mitgefühl zusammen, während die Stockschläge und Peitschenhiebe auf seinen kräftigen Körper regneten. Der Fremde begann zu stolpern und sank in die Knie. Er mag groß und stark von hier aus wirken, aber sie werden ihn umbringen. Sie töten jeden Weißen, der in ihre Fänge gerät.
Dunkelrote Striemen zeigten sich auf dem breiten Rücken, als der Geschlagene wieder auf die Füße kam und weiterrannte, vor Schmerzen gekrümmt und zwischen den Reihen der angetrunkenen Krieger hin- und hertaumelnd. Er hatte das Ende beinahe erreicht, da straffte er sich unerwartet und rannte los, kraftvoll und geschmeidig wie ein Wildpferd, mit weit ausholenden Schritten und erhobenem Kopf.
Die höhnisch lachenden Ute ließen sich durch den Fluchtversuch ihres Opfers nicht aus der Ruhe bringen. Sie hatten schon viele Männer durch ihre Reihen gepeitscht. Die meisten waren nicht bis zum Ende durchgekommen, sondern vorher bewusstlos zu Boden gesunken. Dann hatten die Ute sie zu Tode geprügelt. Die wenigen Gefangenen, die das Spießrutenlaufen überlebten, wurden von den Indianern genüsslich gejagt. Sie hetzten ihre blutenden Opfer durch die zerklüfteten Felsschluchten, über Hochebenen und Bergkämme des Utah-Territoriums. Ob sie die Jagd nach fünfzig Metern oder erst nach einigen Kilometern gewannen, blieb am Ende immer gleich. Auf den Gefangenen wartete die Folter und ein Tod, der gnadenlos wie die rote Felsenwüste war.
Lauf nach links, betete Janna. Ihr schlanker Körper bebte vor Inbrunst. Nimm nicht die erste Abzweigung im Canyon. Das ist eine
Todesfälle. Geh nach links. Nach links!
Als würde der Fliehende ihr stummes Flehen hören, ließ er den mit Buschwerk versperrten Eingang zu dem engen Seitental unbeachtet und rannte weiter. Janna verfolgte seinen Weg noch einige Augenblicke durch ihren Feldstecher, um sich zu vergewissern, dass er in die richtige Richtung rannte. Trotz der blutig roten Striemen auf seiner Haut bewegte er sich geschmeidig und kraftvoll. Sie hielt den Atem an. Jede Faser seines Körpers drückte den unbedingten Willen zum Überleben aus. Sie hatte noch nie etwas Schöneres gesehen. Nicht einmal Lucifer, der schwarze Hengst, dem alle Pferdejäger nachstellten und von dem die Schamanen sagten, ihn würde nie jemand fangen, kam dieser Schönheit gleich.
Noch in vollem Lauf verschwand der Fremde hinter einer Biegung in dem trockenen Flussbett. Janna ließ den Feldstecher sinken, steckte ihn in ihre Hüfttasche und robbte rückwärts aus dem Gebüsch, hinter dem sie sich vor den Kriegern in der Ebene verborgen hatte. Unterwegs verwischte sie alle Spuren ihrer Anwesenheit im Sand. Sie drehte umgewendete Steine auf die richtige Seite zurück und bog Zweige wieder gerade. Die vielen Jahre allein im Indianergebiet hatte sie überlebt, weil sie so wenig Spuren wie möglich hinterließ.
Sobald Janna von den Kriegern im Tal nicht mehr gesehen werden konnte und auch nicht von dem Wächter auf den roten Zinnen des Raven Canyon, wo Cascabels Abtrünnige ihr Lager hatten, rannte sie bergab, auf gewundenem Kurs die vielen Auffaltungen, Felsentürme und Klippen umgehend, die aus dem flach abfallenden Hang des Black Plateau herauswuchsen. Von einem Felsen zum anderen springend, überquerte sie in der Ebene ein ausgetrocknetes Flussbett, ohne Spuren zu hinterlassen. Dann wechselte sie die Richtung, in der Hoffnung, nach einigen hundert Metern auf die Spur des Fremden zu treffen.
Wenn er so weit gekommen war.
Trotz der Eile nutzte Janna jede Deckung. Wenn sie selbst in die Hände der Abtrünnigen geriet, würde sie dem Fremden kaum eine Hilfe sein können. Nach fünf Minuten blieb sie stehen. Sie hielt den Atem an und lauschte. Kein Geräusch deutete darauf hin, dass die Krieger die Verfolgung aufgenommen hatten. Ihre Hoffnung wuchs. Sie rannte weiter, mit federnden, leichten Schritten, als tanzte sie wie die Flammen eines Buschfeuers über die Erde. Wegen ihrer Leichtfüßigkeit und weil sie leuchtendes rotbraunes Haar hatte, wurde sie
von den Indianern Schattenflamme genannt.
Janna hatte fast das nächste ausgetrocknete Flussbett erreicht, als sie die Spuren des
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