Das Haus der Madame Rose
Ich verabscheue mich selbst dafür.
Während ich Dir in unserem kalten, leeren Haus schreibe, strömt mein Atem aus meiner Nase wie Rauch. Die Feder auf dem Papier macht ein schönes kratzendes Geräusch. Die schwarze Tinte glänzt. Ich sehe meine Hand, ihre ledrige, runzlige Haut. An meiner linken Hand den Ehering, den Du mir einst anstecktest und den ich nie mehr abgenommen habe. Die Bewegung meines Handgelenks. Die Schnörkel jedes Buchstabens. Die Zeit scheint sich unendlich hinzuziehen, dennoch bin ich mir bewusst, dass jede Minute, jede Sekunde zählt.
Wo soll ich anfangen, Armand? Wie soll ich beginnen? Woran erinnerst Du Dich? Gegen Ende erkanntest Du mich nicht mehr. Doktor Nonant meinte, ich solle mir keine Sorgen machen, das hätte gar nichts zu bedeuten, aber es war ein langsamer Todeskampf für Dich, mein Geliebter, und auch für mich. Dein sanf ter, überraschter Blick, wenn Du meine Stimme vernahmst. – Wer ist diese Frau?, hörte ich Dich wieder und wieder flüstern, und Du deutetest auf mich, wenn ich mit aufrechtem Rücken an Deinem Bett saß. Germaine, die das Tablett mit Deinem Abendessen hielt, wendete mit rotem Gesicht den Blick ab.
Wenn ich an Dich denke, will ich jedoch nicht an Deinen allmählichen Verfall denken. Ich will an die glücklichen Tage denken. An die Zeit, als dieses Haus voller Leben, Licht und Liebe war. Die Zeit, als wir noch jung waren, körperlich und geistig. Als man sich noch nicht an unserer Stadt vergangen hatte.
Ich friere mehr denn je. Was wird geschehen, wenn ich mir eine Erkältung einfange? Wenn ich krank werde? Ich bewege mich vorsichtig im Raum. Keiner darf mich sehen. Gott allein weiß, wer da draußen herumlungert. Während ich am heißen Tee nippe, denke ich an diesen schicksalhaften Tag, an dem der Kaiser zum ersten Mal mit dem Präfekten zusammentraf. 1849. Ja, es war in jenem Jahr gewesen. In jenem schrecklichen Jahr, mein Geliebter. Ein Jahr des Horrors für uns beide – aus anderen Gründen. Nein, ich werde jetzt nicht bei diesem Jahr verweilen. Aber ich werde darauf zurückkommen, wenn ich das Gefühl habe, genügend Kraft dafür gesammelt zu haben.
In der Zeitung las ich vor einiger Zeit, dass der Kaiser und der Präfekt sich zum ersten Mal in einem der Präsidentenpalais getroffen hatten, und ich stellte mir unweigerlich vor, wie gegensätzlich sie gewesen sein mussten. Der Präfekt mit seiner groß gewachsenen, imposanten Statur, den breiten Schultern, dem bärtigen Kinn und diesen durchdringenden blauen Augen. Der Kaiser bleich und kränklich, schmächtig, dunkles Haar, Oberlippenbart. Ich las, dass der Stadtplan von Paris eine ganze Wand mit blauen, grünen und gelben Linien einnehme, die sich wie Adern durch die Straßen ziehen. Eine notwendige Umgestaltung, hieß es.
Die Verschönerung unserer Stadt wurde vor fast zwanzig Jahren angedacht, ausgedacht und geplant. Der Kaiser und sein Traum von einer neuen Stadt – orientiert an London und dessen breiten Prachtstraßen, wie Du mit einem Blick über Deine Zeitung hinweg bemerktest. Du und ich, wir waren nie in London. Wir wussten nicht, was der Kaiser meinte. Wir liebten unsere Stadt so, wie sie war. Wir beide waren Pariser. Geboren und aufgewachsen in der Stadt. In der Rue Childebert tatest Du Deinen ersten Atemzug, und ich kam acht Jahre später in der benachbarten Rue Sainte-Marguerite zur Welt. Wir verreisten selten, verließen nur selten die Stadt und unser Viertel. Der Jardin du Luxembourg war unser Königreich.
Wie die meisten Nachbarn spazierten auch Alexandrine und ich vor sieben Jahren zur Einweihung des neuen Boulevard Malesherbes über den Fluss zur Place de la Madeleine. Du warst damals seit drei Jahren tot. Du kannst Dir nicht vorstellen, mit welchem Prunk und Pomp dieses Ereignis gefeiert wurde. Es hätte Dich wohl sehr erzürnt. Es war ein glutheißer, staubiger Sommertag, die Menschenmenge war gewaltig. Die Leute schwitzten in ihrem Festtagsstaat. Stundenlang wurden wir herumgeschubst und gegen die kaiserlichen Wachen gedrückt, die das Gelände absicherten. Ich sehnte mich nach zu Hause, aber Alexandrine flüsterte mir zu, dass es für die Pariser ein wichtiges Ereignis sei, bei dem man dabei sein müsse.
Endlich kam der Kaiser in seiner Kutsche. Was für ein mickriges Männchen!, dachte ich. Selbst von Weitem hatte er einen ungesunden gelblichen Teint. Ich sah den Kaiser nicht zum ersten Mal, wie Du sicherlich weißt: Erinnerst Du Dich an die blumengeschmückten Straßen
Weitere Kostenlose Bücher