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Das Haus der tausend Blueten

Das Haus der tausend Blueten

Titel: Das Haus der tausend Blueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Lees
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Baumwollschuhe. Zuerst vermutete sie ein Erdbeben oder ein fernes Gewitter; dann dachte sie an Kanonendonnern. Weglaufen war das Einzige, das ihr jetzt noch blieb, um gegen ihre Panik anzukämpfen.
    Durch hochgewachsenes Unkraut und dicht stehendes Lalang -Gras rannte sie den Hügel hinunter auf das Dorf und den immer lauter werdenden Lärm zu. Jeder ihrer Schritte verursachte ein schmatzendes Geräusch. Sie begriff nicht, warum sie plötzlich bis zu den Knöcheln im Wasser stand. Und mit jedem Meter, den sie vorankam, stieg es höher. Die Kälte kroch ihre Beine hinauf, dann bemerkte sie zu ihrer größten Verwunderung Dutzende von silbrigen Fischen, die nach Luft schnappend in schlammigen Pfützen auf dem Waldboden lagen.
    Sie stürmte durch das Chinaschilf und blieb dann plötzlich wie angewurzelt am Rand des kleinen Marktplatzes stehen. Der Fluss war über die Ufer getreten und beförderte Unmengen von Schlamm ins Dorf. Alles stand unter Wasser! Während das Mädchen versuchte, wieder zu Atem zu kommen, beobachtete sie fassungslos, wie der Strom mit unglaublicher Geschwindigkeit an ihr vorbeischoss, dabei Treibgut, tote Ochsen und entwurzelte Bäume mit sich riss. Hustende, würgende Menschen klammerten sich mit schreckgeweiteten Augen an Wände, Fenstersimse und Erdhügel, während die Strömung unbarmherzig an ihnen zerrte. Einige hielten sich an Grasbüscheln fest, die dem Sog jedoch nicht standhielten, aus der Erde gerissen wurden und augenblicklich in den gewaltigen Fluten verschwanden. Jemand schrie, man solle die Kinder auf höher gelegenes Gelände schaffen. Eine Mutter rief panisch nach ihrem Baby.
    Sie dachte an die Schulmädchen mit den Hibiskusblüten im Haar und fragte sich, ob sie alle ertrunken waren. Links von ihr entwurzelte das Wasser einen Baum, Gischt sprühte ihr in die Augen, genau in dem Moment, als der Kopf eines jungen Mannes kurz aus dem Wasser auftauchte und genauso plötzlich wieder verschwand. Es war das Gesicht ihres Cousins.
    »Ich sterbe«, dachte sie.
    Um sie herum herrschte ein unbeschreibliches Chaos. Sie hörte einen immer lauter werdenden entsetzlichen Schrei und sah den chinesischen Vorsteher, der sich verzweifelt an eine hohe Kiefer klammerte. Ein auf dem Rücken treibender Ochse, die Beine steif wie Glas und weit von sich gestreckt, schoss durch die Fluten direkt auf den Mann zu. Mit einem grässlichen Geräusch traf der eine halbe Tonne schwere Kadaver den Vorsteher und riss ihm dabei den Kopf von den Schultern. Eine Fontäne aus Blut schoss in die Luft, und das Wasser wechselte seine Farbe kurz von schwarz zu rot.
    Einen Augenblick später begann die anglikanische Kirche unter dem Druck des Wassers zu schwanken. Die Ziegel aus Schiefer fielen vom Dach und schlugen wie Mörsergranaten in das Wasser. Das Mädchen sah seine Zweite Tante Doris auf sie zu humpeln, während sie ihr immer wieder entgegenschrie, sie solle um ihr Leben laufen. Die Orgel der Kirche brach entzwei, der Strom riss sie einfach mit.
    Dann stürzte das gesamte Gebäude in sich zusammen.

Erster Teil
    1936

1
    » Aiyoo , du weißt, dass sie ist vollkommen plemplem, nich wahr?«, sagte Sum Sum und beobachtete den Vogel, der sich gerade auf dem Dollbord des Ruderbootes niedergelassen hatte. »Seit sie auf Rasen gefallen ist und sich Kopf an einem Stein angeschlagen hat, schreibt sie stundenlang Briefe an sich selber, macht sich die Achselhaare weg und redet mit eingebildeten Würstchen im Blätterteig. In piekfeines Englisch! Und jetzt läuft sie auch noch von zu Hause weg, um zu heiraten Big Ben.«
    »Das habe ich gehört«, sagte Lu See und rümpfte die Nase.
    »Oh, gut«, erwiderte Sum Sum. »Ich dachte, du bist in Stehen eingeschlafen, lah .«
    »Hältst du jetzt bitte den Mund? Ich will den Sonnenuntergang genießen.«
    Das tongkang -Boot tauchte gerade aus den tiefen Schatten über dem Fluss auf und folgte einem Schwarm flatternder Bülbüls, die sich in die Luft erhoben hatten.
    Lu See stand auf dem Deck des Schleppkahns. Sie hatte eine Kokosschale in der Hand, aus der sie immer wieder einen Schluck Wasser trank, während sie in den dunstigen Regenwald starrte, durch dessen Blätterdach das Licht des späten Nachmittags fiel. Vom Fluss her zogen bereits feuchte, dichte Nebelschwaden auf. Lu See wog die Kokosschale ein paar Mal in der Hand, dann warf sie sie über Bord.
    »Mein Gott, ich habe es tatsächlich getan«, sagte sie leise, mehr zu sich. Tagelang hatte sich ein beklemmendes Gefühl der Angst

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