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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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seinen Griff zu lockern, mit Lark zu Boden ging. Dad hielt das Kinn gesenkt. Das Haar fiel ihm in Strähnen über die Ohren, und sein Gesicht war dunkel vor Blut. Lark fuchtelte mit den Armen, ohne meinen Vater richtig zu fassen zu kriegen. Ich stürzte mich, mit einer Dose Rotel-Tomaten bewaffnet, ebenfalls auf ihn.
    Das Verrückte war, dass Lark zu lächeln schien. Wenn es überhaupt möglich ist, zu lächeln, während man gewürgt und mit einer Dose vermöbelt wird – er tat es. Als sei er richtig begeistert von unserem Angriff. Ich drosch ihm die Dose auf die Stirn, und eine Platzwunde sprang direkt über seinem Auge auf. Mich erfüllte eine reine, schwarze Freude beim Anblick seines Bluts. Blut und Sahne. Ich schlug zu, so fest ich konnte, und irgendetwas – vielleicht der Schock über meine Freude oder über Larks Begeisterung – brachte meinen Vater dazu, seinen Würgegriffzu lösen. Lark trat nach ihm und schleuderte ihn mit aller Kraft von sich. Mein Vater schlitterte rückwärts. Mit einem harten Aufprall landete er auf dem Rücken im Gang, und Lark floh hektisch gebückt in die andere Richtung.
    In dem Moment hatte mein Vater seinen ersten Herzinfarkt, einen kleinen, wie sich herausstellen sollte. Nicht mal einen mittleren. Einen kleinen. Aber es war ein Herzinfarkt. Dort im Supermarkt mitten im Gang, zwischen verschütteter Sahne und umherrollenden Konservendosen, neben dem Prell-Shampoo, wurde mein Vater mattgelb im Gesicht. Er rang nach Luft. Er sah verwundert zu mir hoch. Und weil er eine Hand auf die Brust gepresst hielt, fragte ich: Soll ich den Notarzt rufen?
    Als er nickte, verließ mich alles. Ich ging in die Knie, und Puffy rief den Krankenwagen.
    Sie versuchten mir einzureden, dass ich nicht mit ins Krankenhaus könne, aber ich gab nicht nach. Ich blieb bei ihm. Sie konnten mich nicht dazu bringen, ihn zu verlassen. Ich wusste, was passiert, wenn man ein Elternteil zu weit weg geraten lässt.
    * * *
    Wir blieben fast eine Woche in Fargo und verbrachten die Tage im St.-Luke’s-Krankenhaus. Am ersten Tag wurde mein Vater einer Operation unterzogen, die inzwischen Routine ist, damals aber noch neu war. Dabei wurden ihm Stents in drei seiner Arterien eingesetzt. Er sah in seinem Krankenbett schwach und vermindert aus. Obwohl die Ärzte sagten, er sei auf gutem Wege, hatte ich natürlich Angst. Ich durfte ihn zuerst nur vom Flur aus sehen. Als er in ein eigenes Zimmer kam, wurde es besser. Wir saßen alle beieinander und redeten über gar nichts, über alles. Es ist komisch, aber es war eine Art Urlaub für uns, dort zu sein, zusammen und in Sicherheit, und Smalltalk zu betreiben. Wir wanderten durch die Flure, regten uns gespielt über das fade Essen auf und redeten weiter über nichts und wieder nichts.
    Abends kehrten meine Mutter und ich in unser gemeinsamesHotelzimmer zurück. Wir hatten zwei Einzelbetten. Auf unseren bisherigen Reisen hatten wir uns immer alle ein Zimmer geteilt, mit Mom und Dad im Doppelbett. Ich hatte irgendwo in der Ecke in einem Klappbett geschlafen. Es war, soweit ich mich erinnern konnte, das erste Mal, dass ich irgendwo nur mit meiner Mutter übernachtete. Es hatte etwas Unangenehmes; ihre körperliche Präsenz störte mich. Ich war froh, dass sie Dads alten blauen Hausmantel dabeihatte, von dem sie immer wollte, dass er ihn endlich wegwarf. An manchen Stellen war er fast durchgewetzt, ein Ärmel löste sich auf, und der Saum war ausgefranst. Ich dachte, sie hätte ihn für Dad mitgebracht, aber am ersten Abend zog sie ihn selbst an. Vielleicht, dachte ich, hatte sie ihren eigenen vergessen, der mit goldenen Blüten und grünen Blättern bedruckt war. Aber am nächsten Morgen wachte ich früh auf und sah zu ihr hinüber, als sie noch schlief. Sie trug Dads Hausmantel. Am selben Abend achtete ich darauf, ob sie ihn absichtlich anbehalten hatte, und tatsächlich legte sie sich wieder damit ins Bett. Es war nicht kalt im Zimmer. Als ich am Tag danach durch den Klinikpark spazieren ging, kam ich auf die Idee, dass es mir guttun würde, wenn ich auch etwas von ihm zum Anziehen hätte. Es würde uns irgendwie miteinander verknüpfen.
    Ich brauchte ihn so sehr. Ich konnte nicht allzu genau nachdenken über dieses Bedürfnis und konnte auch nicht mit meiner Mutter darüber sprechen. Aber dass sie seinen Hausmantel trug, zeigte mir, dass auch sie seine Gegenwart auf eine ganz grundlegende Weise brauchte, die ich jetzt verstand. Abends fragte ich sie, ob sie für Dad ein

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